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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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Kopf. Er hatte recht, es war ein alberner Gedanke. Immerhin würden sie sich wohl kaum unter der Tür hindurchzwängen, um nicht gesehen zu werden. Kjoren hatte zwar von einem Schiff des Königs berichtet, das ebenfalls auf dem Weg nach West-Fenn war, doch die Chancen standen gut, dass ihre Begleiter und sie vor ihnen eintrafen. Wenn sie es allerdings nicht schaffen sollten, innerhalb von zwei Tagen an das Tagebuch zu gelangen, würden sie sich wohl oder übel unverrichteter Dinge auf den Rückweg machen müssen. Das Risiko, erneut gefangen genommen zu werden, war zu groß.
    Am frühen Nachmittag ragte Ceregrym schließlich in seiner vollen Größe und Pracht vor ihnen auf. Es gab weder einen befestigten Weg, der zum Eingang führte, noch Vorgärten. Es sah so aus, als hätte ein Riese den Koloss aus grauem Stein aus seiner ursprünglichen Umgebung entfernt und einfach hier, mitten auf einem Felsplateau in der Wildnis von West-Fenn, wieder abgesetzt. Zwar hatte die Natur versucht, den Steinriesen in Form von Moos, Flechten und wuchernden Kletterpflanzen zurückzuerobern, doch es war ihr mitnichten gelungen, das Kloster in die Landschaft zu integrieren. Es wirkte wie ein Fremdkörper. Um sie herum gab es nichts als Wald, Felsen und wilde Natur – und mittendrin dieses von Valanen geformte geometrische Etwas, das mit seinen Türmen und Zinnen wenig einladend wirkte. Von der Spitze des höchsten Turmes ragte ein Fahnenmast in den grauen Himmel, eine Flagge mit einem siebenzackigen Stern über einem schwarzen Kreuz flatterte in der immerwährenden Brise von Yel. Sie steuerten auf eine riesige Flügeltür aus massivem, mit Eisen beschlagenem Holz zu. Sie war verschlossen. Elanes Puls begann zu rasen. Sie warf Leroy, der neben ihr stand und die Außenmauern musterte, einen Seitenblick zu.
    Kjoren trat zu ihnen und klatschte in die Hände. »So, na dann wollen wir doch mal anklopfen, oder etwa nicht?« Er besaß tatsächlich die Kühnheit, zu grinsen.
    Leroy knurrte. »Mir ist die Sache zwar nicht geheuer, aber du hast recht. Dazu sind wir schließlich hierhergekommen.«
    Elane sah deutlich die Angst in seinen Augen. Sie spürte, dass sich Leroy am liebsten umgedreht hätte und davongelaufen wäre. Er war gut darin, anderen seine Selbstsicherheit vorzuspielen, aber sie kannte ihn mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass es nur eine Fassade war, die er sorgsam pflegte. Sie beobachtete, wie Leroys Hände sich neben seinem Körper zu Fäusten ballten, bis sich die Fingerknöchel weiß färbten. Er erinnerte sie in diesem Moment an ein in die Ecke gedrängtes Tier, jeder Muskel zum Zwecke einer raschen Flucht angespannt.
    Kjoren hingegen wirkte äußerst gelassen. Vielleicht war er auch bloß ein besserer Schauspieler als Leroy. Zweifelsohne erfüllte es ihn mit Stolz und neuem Mut, endlich Zugang zu seiner Magie gefunden zu haben. Elane hoffte, dass er sich die Lebensfreude auch noch bewahren würde, wenn ihre Mission scheiterte, Jaham sich das Tagebuch aneignete und die Firunen in die Sklaverei schickte.
    Kjoren krempelte einen seiner verschmutzten Ärmel auf und klopfte beherzt an die riesige Tür. Er trat einen Schritt zurück, ein Ausdruck grimmiger Entschlossenheit im Gesicht. Elane durchflutete ein Gefühl der Erleichterung. Kjoren verströmte die Zuversicht, die sie so dringend brauchte. Leroys Gesellschaft hingegen, vermochte einen in Depressionen zu stürzen.
    Die Tür öffnete sich knarrend und knackend. Die Geräusche erschienen in der Stille der Einöde unnatürlich laut. Eine Hälfte der Flügeltür stand einen Spaltbreit auf. Ein Kopf kam zum Vorschein. Ein Mann mit kahl geschorenem Haupt und kleiner, knolliger Nase.
    »Wer seid ihr und was wünscht ihr?«, fragte er mit quäkender Stimme.
    »Wir sind Valanen auf der Flucht, wir erbitten Einlass und Schutz. Dies ist doch ein Haus der Gnade und der Nächstenliebe, oder?« Kjoren konnte äußerst überzeugend sein. Elane bewunderte ihn für seinen Mut. Aber was hätte er auch anderes sagen sollen? Entschuldigung, wir kommen in Begleitung des wahren Thronerben. Es soll hier irgendwo ein Tagebuch geben, auf das er Anspruch erhebt. Wir haben zwar keinerlei Beweise, aber versuchen kann man es doch mal. Dummer Gedanke.
    Der Kahlkopf verzog die Lippen zu einem schmalen Strich, musterte einen nach dem anderen mit kritischen Blicken und zog die Tür auf. Erst jetzt sah Elane, dass er ein bodenlanges, grünes Gewand trug, das um die Taille herum von einem breiten Gürtel

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