Jenseits des Windes
wühlten sich durch seine Eingeweide und verbanden sich mit seinem quälenden Hunger.
Irgendwann ließ der Schlaf Gnade walten und befreite ihn von dem ewigen Auf und Ab der Gefühle. Leider war der Zustand nicht von Dauer. Er schreckte hoch. Stockfinstere Nacht umfing ihn. Das Feuer der Soldaten brannte noch, loderte hoch, sodass man einige Yards sehen konnte. Etwas hatte Leroy geweckt, er wandte den Kopf hin und her. Jemand stöhnte. Erst leise, dann lauter. Elane stieß jäh einen Laut des Entsetzens aus.
»Kjoren! Was ist mit dir?«, flüsterte sie ängstlich.
»Ihr sollt nicht reden«, fauchte einer der Soldaten, der sie bewachte.
Wieder stöhnte Kjoren. Elane ließ sich von der Warnung nicht abschrecken. »Er stirbt«, kreischte sie hysterisch. Leroy kroch näher. Kjoren lag auf dem Boden, das Gesicht im Moos vergraben. Er gab Laute von sich, als würde er unter großen Schmerzen leiden.
»Was hat er?« Cirnod schlug die Hände vor sein Gesicht. Brynn und William starrten mit geweiteten Augen auf Kjoren hinab, bewegten sich jedoch keinen Millimeter. Was konnte er tun? Angst und Kälte lähmte n ihn, seine Glieder fühlten sich taub an. Elane packte Kjoren an den Schultern und drehte ihn herum. Seine Augen lagen verdreht in den Höhlen, das Gesicht kreidebleich. Sie rüttelte vorsichtig an ihm, doch Kjoren schien weder dies noch Elanes klagendes Geheule wahrzunehmen.
Drei Soldaten schälten sich aus der Dunkelheit und kamen auf sie zu. »Was ist hier los?«, fragte einer, dessen Nase Leroy an einen Geier erinnerte.
»Ich weiß es nicht«, jammerte Elane unter Tränen. Sie legte Kjorens Kopf in ihren Schoß und begann, ihn in einem langsamen Rhythmus zu wiegen. Eine ihrer Tränen tropfte auf seine Stirn. Leroys Herz hämmerte. Er fühlte sich hilflos wie ein kleines Kind, das man mit einer Aufgabe betraut hatte, die es hoffnungslos überforderte.
Sein Blick irrte zur Seite zum Feuer. Er fing den Blick von Jonneth auf, der mit einem boshaften Grinsen im Gesicht im Schneidersitz saß, das Buch noch immer auf seinem Schoß. Das Licht der Flammen warf groteske Schatten auf seine Züge. Leroy lief ein Schauder über den Rücken. Als hätte er Jonneth lauthals beschimpft, sprang er jäh auf und stürzte auf sie zu, das Buch drückte er eng an seine Brust. Er blieb vor Kjoren stehen, stieß ihn mit der Stiefelspitze an und begann zu lachen, als hätte man ihm einen besonders lustigen Witz erzählt. Sein ganzes Gehabe wirkte falsch, unpassend und unlogisch. Leroy glaubte beinahe, er träumte noch. Bis auf Elane starrten nun alle auf Jonneth.
»Das ist kaum zu glauben«, stieß der Kronprinz prustend hervor.
»Was? Dass wir einen Kranken unter uns haben?«, fragte der Geiermann.
»Wayne, du Dummkopf«, sagte Jonneth. »Ich war erfolgreich, das ist nicht zu glauben! Ich habe die Formel entschlüsselt, der stöhnende Haufen Dreck dort ist der Beweis.«
Leroy beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Cirnod sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich. Er schloss die Augen und begann abermals, seine Gebete zu murmeln. Niemand beachtete ihn.
»Die Formel?« Wayne bemühte sich sichtlich um einen ruhigen Tonfall, aber Leroy merkte ihm den Groll, den er gegenüber Jonneth hegte, deutlich an. Einzig die Tatsache, dass Jonneth im Rang weit über ihm stand, schien ihn davon abzuhalten, ihn öffentlich zurechtzuweisen.
»Die Formel, wegen der wir überhaupt hergekommen sind, du Schlaumeier!« Jonneth spie ihm die Worte entgegen. »Ich habe das ganze Buch durchforstet und endlich die Formel gefunden, die die Magie aus den Firunen heraussaugt.« Er zeigte auf Kjoren. »Der da ist ein Firune!« Seine Augen funkelten vor Wahnsinn. Er schlug abermals das Buch auf und murmelte fremd klingende Worte. Kjorens Körper krampfte sich zusammen. Mittlerweile waren auch die anderen Soldaten herbeigeeilt, um der Szene beizuwohnen. Das Ganze war derart schockierend, dass Leroy es nicht einmal schaffte, einen klaren Gedanken zu fassen. Er hockte stumm da und glotzte wie ein Schwachsinniger, während der Widerling Kjoren Schmerzen zufügte. Es war sogar zu abwegig, als dass es ein Traum hätte sein können.
Nur einzelne Fragmente des Geschehens drangen bis zu seinem Bewusstsein vor. Elane, wie sie wimmerte und Kjoren an sich drückte, Cirnod, der noch immer seine Gebete murmelte, Brynn und William, deren Gesichter schweißnass im Feuerschein glitzerten und Jonneth, der mit weit aufgerissenen Augen fremde Worte sprach.
Plötzlich schlief der Wind
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