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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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dabei, oder? Du wärst uns doch sonst nicht entgegengekommen, nicht wahr? Und wehe, du hast es nicht!« Er senkte drohend die Tonlage. »In diesem Fall werde ich die Schließung des Klosters veranlassen. Wer glaubt schon an diesen dummen Gott?« Jonneth erhob die Stimme, damit ihn alle verstehen konnten, als er rief: »Ich bin nicht getauft worden, und siehe da, ich lebe immer noch!« Er lachte, kalt und voller unverhohlener Missbilligung.
    Cirnod, ob er es nun freiwillig tat oder nicht, bat Brynn, ihm den Rucksack zu reichen. Er nahm das Tagebuch heraus, das Jonneth ihm sogleich aus den Händen riss. Er presste es an seine Brust wie eine Mutter ihr Baby.
    »Soll ich es in die Satteltaschen zu dem anderen Gepäck legen?«, fragte Ben. Leroy glaubte, dass er Jonneth tatsächlich nur einen Gefallen tun wollte, doch Jonneth fauchte ihn an wie eine Raubkatze.
    »Niemand berührt dieses Buch!« Seine Stimme klang seltsam verändert, von Wahnsinn verzerrt. Dann, nach einem Moment der Stille, brach er in schallendes Gelächter aus, das ihm einen eisigen Schauder über den Rücken jagte. Der Kerl war eindeutig verrückt! Kein Wunder, dass Yel dem Untergang geweiht war, wenn sich König Jaham auch nur ansatzweise so verhielt wie sein Sohn.
    Jonneth bahnte sich einen Weg durch seine Soldaten, bedrohte jeden, der nicht schnell genug zur Seite sprang, mit seinem Schwert und entfernte sich von der Gruppe. Alle starrten ihm hinterher, aber niemand wagte es, auch nur einen Mucks von sich zu geben. Jonneth setzte sich auf den Waldboden und lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Baumstamm. Dann schlug er das Buch auf. Seine Augen leuchteten wie die eines kleinen Kindes beim Sturmfest. Weshalb tat denn niemand etwas? Kjoren, Elane und er waren unbewaffnet und wurden bewacht, aber Cirnod und die anderen beiden mussten doch irgendwie verhindern, dass Jonneth den Inhalt las!
    Man wies sie an, sich auf den Boden zu setzen. Ein Soldat mit kahlem Schädel und zerschlissener Uniform stammelte ihnen Befehle zu, aber er merkte ihm seine Unsicherheit deutlich an. Immer wieder warfen die Männer Jonneth einen Hilfe suchenden Blick zu, doch der war immer noch völlig in das geliebte Tagebuch vergraben.
    »Es tut mir leid«, flüsterte Cirnod ihm zu, als sie dicht beieinander unter der umgestürzten Eiche kauerten und auf weitere Befehle warteten. »Ich hätte die Gefahr erkennen müssen. Ich hätte dieses furchtbare Buch schon vor Jahren verbrennen sollen. Hätte ich doch bloß eher gewusst, welch heikle Informationen es barg.« Leroy sah ihn nicht an, aber an seiner gebrochenen Stimme erkannte er, dass Cirnod mit den Tränen rang. Also hatte er doch keine bösen Absichten gehegt. Ein schwacher Trost. »Ich habe immer geglaubt, es sei meine Pflicht, das Buch aufzubewahren, falls einmal ein Erbe Anspruch darauf erheben sollte«, fuhr der Priester fort. »Nie hätte ich gedacht, jemand könnte es missbrauchen.«
    »Haltet den Mund«, bellte einer der Soldaten. Auch er wirkte seltsam angespannt. »Hier wird nicht getratscht!« Daraufhin senkte sich betretenes Schweigen auf sie nieder.
    Sie saßen auf dem kalten Waldboden und harrten der Dinge, die kommen würden. Irgendwann hatte Cirnod damit begonnen, Gebete an den b armherzigen Gott zu murmeln. Er trieb ihn damit beinahe in den Wahnsinn. Elane saß neben Kjoren, den Kopf in seinem Schoß vergraben. Ihre dichten braunen Haare verdeckten ihr Gesicht. Gelegentlich ging ein leises Winseln von ihr aus. Kjoren strich ihr über den Kopf. Die Luft roch geradezu nach Verzweiflung und Schwermut. Selbst die Soldaten sprachen wenig und trugen Gesichter zur Schau, die zu einer Beerdigung gepasst hätten. Einzig Jonneth’ Augen leuchteten. Er brabbelte unverständliche Worte vor sich hin, gelegentlich blätterte er eine Seite um. Er hatte die Beine angezogen, sodass das Buch auf seinen Knien direkt unter seiner Nase ruhte. Bis zum Abend geschah nichts, das Leroy von seinen düsteren Gedanken abzulenken vermochte. Einer der Soldaten hatte ein Kaninchen und zwei Vögel erlegt, deren Fleisch über einem kleinen Feuer briet. Der Duft, der zu ihm herüberwehte, raubte ihm die Sinne. Unweigerlich füllte sich sein Mund mit Speichel. Die Soldaten würden wohl nicht mit ihnen teilen. Wie lange konnte man ohne Nahrung überleben? Beinahe wünschte er sich, einfach einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen. Seine Stimmung wechselte von Gleichmut zu Verzweiflung, von Hass zu Selbstmitleid. Unterschiedlichste Emotionen

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