Jenseits des Windes
vollkommen ein. Niemals zuvor hatte Leroy auch nur einen einzigen Tag in seinem Leben erlebt, an dem es windstill gewesen war. Es war, als hätte die Zeit angehalten. Furchterregend. Sogar Kjoren wurde auf einmal ruhig. Er sank in Elanes Schoß zusammen wie eine leblose Puppe. Ein bläuliches Leuchten ging von ihm aus, das die Umgebung in ein gespenstisches Licht tauchte. Nur einen Herzschlag später erlosch es und auch der Wind frischte auf. Eine Weile sagte niemand etwas.
Jonneth klappte das Buch geräuschvoll zu. »Es hat funktioniert. Ich fühle mich großartig.« Noch immer starrten ihn alle an, doch er sprach einfach weiter, als sei nichts geschehen. Sein Blick fiel auf Elane. »Hast du etwa vorher gewusst, dass er ein Firune ist?« Sein Gesicht zeigte Abscheu. »Für so dämlich und geschmacklos hätte ich dich nie gehalten. Das ist widerlich.« Er spuckte auf den Boden und lächelte bitterböse. »Du weißt, welche Strafe dich erwartet? Auf die Verbindung steht die Todesstrafe. Nicht, dass ich einen Grund brauche, dich hinrichten zu lassen, du hinterhältiges Weib. Pah! Ich mache, was ich will!«
Elanes blasse Miene wirkte ausdruckslos. Sie sah aus, als stünde sie kurz vor einer Ohnmacht.
»Aber keine Sorge, damit warte ich noch, bis wir zurück in Valana sind«, sagte Jonneth und wedelte mit der Hand in der Luft herum. »Erstens können dann mehr Leute bei der Hinrichtung zusehen und zweitens kann ich es bei der Gelegenheit auch gleich meinem Vater heimzahlen.« Er blickte abwechselnd in die Gesichter aller Anwesenden, als wollte er sich vergewissern, dass jeder ihm zuhörte. »Niemand wird mich mehr aufhalten. Meinem Vater werde ich seine jahrelange Unterdrückung heimzahlen. Ob er wirklich gedacht hat, ich händige ihm das Tagebuch aus? Wer will mich jetzt noch dazu zwingen?« Er fletschte die Zähne wie ein tollwütiger Hund. Vielleicht wäre es ihnen gelungen, ihn zu überwältigen, wenn sie alle an einem Strang gezogen hätten. Doch entweder hatten seine Schoßhündchen Angst vor ihm oder sie waren wie er so schockiert von Jonneth’ Worten, dass niemand sich imstande fühlte, zu handeln. Vielleicht verstanden sie auch nicht, welche Gefahr von Jonneth ausging, oder, was noch schockierender wäre, sie unterstützten den aufgeblasenen Schläger in seinem Vorhaben.
Jonneth zuckte zurück. Jemand hatte ihm ins Gesicht gespuckt. Er wischte sich mit der Handfläche über die Stirn.
»Du bist ein krankes Arschloch, ein Parasit im Pelz unserer Welt.«
Leroy glaubte seinen Augen kaum. Kjoren saß aufrecht und verbrannte Jonneth mit einem hasserfüllten Blick.
»Du!« Jonneth’ Stimme triefte von Abscheu. »Dich werde ich gleich hier und jetzt töten lassen! Wo ist dein Halsband, du dreckiger Firune? Du hast das Leben nicht verdient. Flieg doch davon!« Er lachte irre und abfällig. »Ach so, das hätte ich fast vergessen, du hast ja keine Flugmagie mehr in dir. Zu schade.« Wieder lachte Jonneth, kalt und unbarmherzig.
Kjoren sprang auf, schwankte ein wenig unsicher auf den Beinen. Elane erhob sich ebenfalls und legte einen Arm um Kjorens Schultern.
»Wenn du ihn töten willst, musst du mich auch töten«, sagte sie.
Leroy überlief es eiskalt, niemals hatte ihre Stimme so hasserfüllt geklungen wie in diesem Moment.
»Bitte! Wenn ihr es unbedingt so wollt«, zischte Jonneth und zog sein Schwert aus der Scheide.
Elanes Augen weiteten sich vor Panik, vermutlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass Jonneth tatsächlich so skrupellos sein könnte, seine Ehefrau an Ort und Stelle umzubringen. Er stand nur eine Manneslänge von Jonneth entfernt, der sein Schwert über den Kopf hob. Die Männer rührten sich nicht, sie beobachteten die Szene wie eine Gruppe Statuen. Ein Impuls durchzuckte Leroy. Er könnte auf Jonneth zuspringen, ihn niederreißen und damit den Schlag ablenken. Aber was hätte er dadurch gewonnen? Am Ende würde Jonneth seine Aufmerksamkeit womöglich auf ihn richten und ihn als Erstes köpfen. Er war unbewaffnet. Aber konnte er herumstehen und keinen Finger rühren, während der Wahnsinnige seine Kameraden abschlachtete? Er schluckte. Ein bitterer Geschmack lag auf seiner Zunge. Ihm blieb nur noch ein Atemzug Zeit zu handeln, bevor das Schwert auf Kjoren und Elane niedersausen würde. Weshalb nur war er ein so elender Feigling? Er schaffte es nicht, über seinen Schatten zu springen und ihnen zu helfen.
Aus den Schatten sprang eine Gestalt hervor, prallte gegen Jonneth und warf ihn zu
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