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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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auf den Straßen gingen wie eine wild gewordene Meute auf die Soldaten los. Die Menschen spuckten sie an und schrien ihnen hässliche Worte hinterher. Jonneth befahl seinen Männern, jeden zu erschießen, der sich ihnen in den Weg stellte. Obwohl die Soldaten reichlich Gebrauch von ihren Gewehren machten, ließ sich der Pöbel kaum davon abhalten, Jonneth und seine Männer anzugreifen. Leroy zwang sich, den Blick von den Leichen abzuwenden und nur auf seine Füße zu starren. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er auf Befehl des Königs getötet hatte, jetzt befand er sich auf der anderen Seite des Gewehrlaufs. Ein simpler, schneller Tod durch eine Bleikugel erschien ihm schon lange eher wie eine Erlösung als eine Strafe. So sehr er sich auch bemühte, er empfand kein Mitleid mit den Toten, er beneidete sie sogar. Und mal wieder schämte er sich für derlei Gedanken und Gefühle.
    Sie benötigten einen halben Tag für den Weg zum Palast, den sie unter normalen Umständen in weniger als zwei Stunden zurückgelegt hätten. Mehrere mit Piken und Gewehren bewaffnete Männer patrouillierten auf dem Wehrgang von Valburg, doch im Gegensatz zur Stadt, in der heilloses Durcheinander herrschte, war es um die Burg herum besorgniserregend ruhig. Leroys Nackenhaare sträubten sich. Etwas stimmte nicht, doch weder Jonneth noch die Soldaten schienen sich Gedanken darüber zu machen.
    Jonneth brüllte etwas die Mauer hinauf, und sogleich kamen einige Wachtposten herunter und öffneten das Tor. Leroy fühlte sich wie Vieh auf dem Weg zum Schlachthof, als sie ihn zusammen mit Elane und Brynn in den Innenhof schubsten. Hinter ihnen drehten Männer stöhnend an einer Kurbel und die riesige massive Flügeltür fiel krachend ins Schloss. Das Geräusch hatte etwas Endgültiges, etwas Absolutes an sich.
    Leroy ging mit gesenktem Haupt über einen strahlend weißen Kiesweg. Er hatte keine Augen für den imposanten Palast aus weiß getünchtem Sandstein, auf den sie sich zubewegten. Elane schluchzte leise neben ihm. Dies war einst ihre Heimat gewesen. Was musste es für ein Gefühl für sie sein, als zum Tode Verurteilte über diese Wege zu gehen?
    In der Mitte des Platzes hielt der Tross abrupt inne. Er sah auf. Ein Junge kam herangeeilt und nahm Ben die Zügel ab. Im Nu verschwand der Bengel mit dem Pferd hinter einem flachen Gebäude. Zum ersten Mal sah sich Leroy seine Umgebung genauer an. Den riesigen Hof umgab eine hohe Mauer aus massivem Gestein. Er beherbergte mehrere Gebäude, von denen das größte und strahlendste natürlich der Palast war. Ein weitläufiger Balkon mit aufwendig verziertem Geländer führte komplett um das zweite Stockwerk herum. Der Handlauf glänzte goldfarben in der Sonne, die Verstrebungen zwischen den Pfeilern waren schneeweiß und ahmten die Form von ineinander verschlungenen Blumen nach. Die Fensterläden schillerten ebenfalls goldfarben, das Dach hingegen funkelte wie flüssiges schwarzes Metall. Unter anderen Umständen hätte er Ehrfurcht empfunden, doch momentan wirkte alles bedrohlich und Angst einflößend. Am schlimmsten beunruhigte ihn jedoch die Stille.
    »Jonneth! Da bist du ja endlich wieder!« Eine Stimme durchschnitt die Luft wie ein Peitschenhieb. Leroy zuckte zusammen und wandte den Kopf. Auf der Treppe zum Palasteingang erschien ein Mann mittleren Alters. Blaue Seide umhüllte seinen Körper, seinen Kopf zierte ein breiter goldener Reifen. Die Augen des Mannes lagen klein und kalt in den Höhlen. Leroy hatte ihn schon einmal gesehen. Der ausstaffierte Kerl hatte auf der Beerdigung nahe dem damaligen König Adoran gesessen. Es musste sich um Jaham Venell handeln.
    Er kam eilig die Treppe herunter, vergaß dabei jedoch nicht, das Kinn zu heben und die Brust herauszustrecken. Noch so ein aufgeblasener Gockel! Der Apfel fiel nicht weit vom Stamm.
    Jaham stolzierte an Elane, Brynn und ihm vorüber, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Anscheinend hatte auch er mittlerweile andere Pläne, als nur den wahren Thronerben auszulöschen.
    »Gib es mir«, bellte der König. Er machte einen großen Schritt auf Jonneth zu und streckte ihm die Handfläche entgegen. »Du hast es doch dabei, oder?«
    Leroy lief ein Schauder über den Rücken angesichts der Kälte in der Stimme des Königs.
    Jonneth hingegen ließ sich von seinem Vater nicht einschüchtern. Er fletschte die Zähne und wich einen Schritt zurück. »Ich bin dir überhaupt nichts schuldig«, keifte er. »Und du wirst das Buch nicht

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