Jenseits des Windes
diese Schlacht zu Ende zu bringen, koste es ihn auch das Leben!
Kampfgeräusche drangen an seine Ohren. Jemand schrie, Pfeile surrten durch die Luft. Als er die Augen einen Spaltbreit öffnete, hatten Ibrik und Lotta ihn bereits über die Außenmauer der Burg hinweggetragen. Auch wenn er es hasste, auf die Hilfe von anderen angewiesen zu sein, weil er nicht imstande war, selbst zu fliegen, war dieser Flug von unabdingbarer Notwendigkeit. Ihn beseelte nur ein Gedanke, Jonneth und seine ehrenrührigen Schoßhunde zu vernichten. Es schmerzte ihn in den Tiefen seiner Seele, seine gerade erst entdeckte Flugmagie verloren zu haben. Zumindest hatte er überlebt, und er würde nicht tatenlos zusehen, wie Jonneth das Reich ins Chaos stürzte. Nicht, ohne alles versucht zu haben, dem kranken Irren das Handwerk zu legen. Jetzt war die einmalige Gelegenheit, den Unruhen ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Wenn nicht heute, dann nie. Kjoren hatte sein Glück schon so oft strapaziert, hoffentlich ließ es ihn heute nicht im Stich.
Es grenzte bereits an ein Wunder, als man ihn nach seiner geglückten nächtlichen Flucht in der Wildnis aufgelesen und zu einem geheimen Lager des firunischen Geheimbundes gebracht hatte. Und noch überraschter war er gewesen, als er in den Reihen der Freiheitskämpfer seinen Vater Svorolf erblickte. Kjoren hatte zwar gewusst, dass er Mitglied des Bündnisses war, doch niemals hatte er geglaubt, ihn auf West-Fenn zu treffen. Er hatte überhaupt nicht mehr zu hoffen gewagt, seinen Vater jemals wiederzusehen. Auch William, der Hausmeister des Klosters, war unter ihnen. Doch die Freude über sein unverschämtes Glück war getrübt von der Enttäuschung darüber, dass Elane es nicht geschafft hatte. So sehr sich Kjoren auch über das Wiedersehen mit seinem Vater gefreut hatte, konnte er die Sorge um die Frau, die er liebte, nicht verdrängen. Er erfuhr, dass sein Vater und die anderen Firunen der Befreier West-Fenn schon seit Längerem für ihre geheimen Versammlungen nutzten. Cirnod unterstützte sie seit Jahren. Einzig von dem Tagebuch habe er ihnen lange Zeit nichts erzählt. Lediglich mit Bjart, Leroys Ziehvater, habe Cirnod seit Kurzem in Kontakt gestanden und ihm offenbart, dass er das Buch für Leroy – Cyles – all die Jahre verwahrt hatte. Daraufhin habe es einen Aufschrei innerhalb der Gruppe gegeben, immerhin hatten sie jahrzehntelang nach diesem Buch gesucht und sogar König Alloret deswegen gefoltert.
Cirnods Hilferuf, den er mithilfe seiner Krähe abgesetzt hatte, hatte die Firunen erreicht. Sie hatten sich unverzüglich auf den Weg gemacht, Jonneth und seine Männer anzugreifen. Leider befanden sich die Valanen zu diesem Zeitpunkt bereits mit dem Luftschiff auf dem Rückweg nach Lyn, sodass ihnen nichts übrig geblieben war, als ihnen hinterherzufliegen. Kjoren saß auf dem wackeligen Karren, den zwei seiner Artgenossen über das Windmeer zogen. Selbstverständlich blieb die Karawane fliegender Firunen nicht unbemerkt. Gegen ein valanisches Gewehr vermochte selbst die Magie eines Firunen nichts auszurichten, und sie mussten mehr als einmal über die Köpfe bewaffneter Soldaten hinwegfliegen. Die Gruppe aus ehemals zwanzig Firunen zählte nun nur noch ein Dutzend, die es bis nach Valburg geschafft hatten.
Ibrik und Lotta setzten Kjoren etwas abseits des Kampfgeschehens auf einem schneeweißen Kiesweg ab. Sie nickten ihm kurz zu, wandten sich ab und stürzten sich in das Gemetzel. Mit grimmiger Entschlossenheit folgte er ihnen, ungeachtet der Schmerzen in seinen Füßen, die von dem tagelangen Gewaltmarsch durch die Wildnis immer noch wund und geschwollen waren. Er presste die Kiefer aufeinander, bis sie knirschten. Jede Faser seines Körpers schrie nach Rache. Niemals zuvor hatte er diesen unbedingten Siegeswillen verspürt.
Kjoren näherte sich der kämpfenden Menge. Schreie, Schüsse und das Surren der Bogensehnen gellten durch die Luft. Er bereitete sich darauf vor, den ersten Mann zu töten. Wer auch immer es sein mochte, er würde ihm mit seinem Schwert den Kopf vom Hals trennen. Kjoren hoffte inständig, dass es Jonneth sein würde. Die Strapazen der letzten Tage durften nicht umsonst gewesen sein. Er wollte den arroganten Wahnsinnigen unbedingt sterben sehen.
Kjoren bewegte sich weiter auf seine Feinde zu. Sein Atem stand in weißen Wolken vor seinem Gesicht, die Kleidung klebte an seinem Körper. Mit jedem Schritt, den er sich dem Kampfgeschehen näherte, wuchs seine
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