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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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Innenräume wagen. Alles deutete darauf hin, dass hier seit Längerem niemand mehr lebte.
    Die Luft war noch immer erfüllt von Staub, der sich nur langsam legte. Er klebte auf der Zunge, färbte die Haare gräulich und brannte in den Augen. Hustend näherten sie sich dem Gebäude. Selbst wenn noch jemand hier stationiert gewesen war, vor den einheimischen Firunen fürchteten sie sich nicht. Ihre Krieger kleideten sich in leichte Lederrüstung oder die zweckmäßigen Wämser von Waldläufern, die meisten trugen jedoch die einfache braune und grüne Leinenkleidung der Eingeborenen. Sie waren keine ebenbürtigen Gegner für einen echten Soldaten. Doch leider hielten sich die Firunen des Ostens mitnichten an valanische Gesetze, denn sie waren in Besitz von Waffen. Es galt, Vorsicht walten zu lassen.
    Die Soldaten suchten fortwährend den Himmel mit ihren Blicken ab, während sie sich langsam vorwärtstasteten. Griffen die Firunen aus der Luft an, waren sie nur mit dem Gewehr zu besiegen, und selbst dann war es schwierig, sie zu treffen. Leroy war schon öfter Zeuge ihrer seltsamen Metamorphose geworden, und jedes Mal hatte es ihn aufs Neue in Erstaunen versetzt. Binnen eines Lidschlags wuchsen ihnen Flügel aus dem Rücken, deren Spannweite bei Weitem ihre Körpergröße übertraf. Sie schimmerten in den unterschiedlichsten Farben und waren dünn und durchscheinend wie Papier. Leroy begegnete ihnen mit Argwohn. Er fürchtete sich zwar nicht vor einem geflügelten Firunen, aber zu nahe wollte er ihm nicht kommen. Angehörige ihrer Rasse waren zumeist kleiner als die Valanen, aber sie waren kräftig und schnell. Ihre Hautfarbe war ebenso wie die Farbe ihrer Haare hell und wirkte kühl wie ein Wintermorgen.
    Ein Schatten, größer als der eines Vogels, zog über ihre Köpfe hinweg. Ein einzelner Firune war aus den Ruinen der zerstörten Festung aufgestiegen. Seine Flügel waren strahlend blau. Es machte nicht den Anschein, als legte es der Firune auf eine Konfrontation mit den Soldaten an. Flüchtig erhaschte Leroy einen Blick auf sein Gesicht. Nackte Angst war darin zu lesen. Mit zwei kräftigen Flügelschlägen hatte er sich bis über die Baumkronen erhoben. Er floh. Offensichtlich stellte er keine Gefahr dar, aber Hauptmann Lenry brüllte: »Er entkommt.« Hektisch sah er sich um, suchte sich in der Menge ein Opfer und zeigte mit dem Finger auf den Auserwählten. »Du! Töte ihn!«
    Leroy zuckte zusammen. Das war einer der bedeutendsten Unterschiede zwischen einem wahren Offizier und einem Feigling wie … ihm. Ein Offizier scheute sich nicht davor, Entscheidungen zu treffen. Einen Moment lang ärgerte er sich über seine Unfähigkeit, wie ein Soldat zu denken und zu handeln, doch dann rissen ihn die Ereignisse aus seinen Gedanken.
    Leroy wandte dem armen Kerl, den Lenry auserkoren hatte, den Kopf zu. Er kannte den Soldaten, dem die Ehre zuteilgeworden war, den Firunen zu erschießen. Sein eisernes Halsband funkelte in der Sonne. Er drückte sich den Griff des Gewehrs gegen die Schulter und zielte, den Finger am Abzug. Doch kein Schuss löste sich aus seiner Waffe. Der Firune verschwand hinter den Baumkronen, der Moment war verstrichen. Das Gesicht des Soldaten erblasste. Er hatte einen Befehl verweigert. Ein fataler Fehler. Stille senkte sich über die Gruppe. Obwohl es ihn nicht betraf, schlug Leroys Herz bis zum Hals und seine Finger waren schweißnass, als wäre er derjenige, der sich schämen müsste. Leroy erinnerte sich an den Namen des Befehlsverweigerers. Kjoren. Er war ein Firune, der wohl außergewöhnlichste Soldat innerhalb ihrer Truppe. Vermutlich hatte Hauptmann Lenry ihn prüfen wollen. Er machte keinen Hehl daraus, dass er Kjoren nicht ausstehen konnte.
    Der Offizier ging einen Schritt auf Kjoren zu, dessen stramme Soldatenhaltung zu wünschen übrig ließ. Seine Beine zitterten, obwohl er sich sichtlich bemühte, aufrecht und stillzustehen. »Über die Strafe entscheide ich, wenn wir zurück im Basislager sind.« Lenry zischte die Worte durch seine zusammengepressten Zähne. Leroy glaubte, seine Kiefer mahlen zu hören. »Das wird ein Nachspiel haben.«
    Kjoren stand ihm mit ausdrucksloser Miene gegenüber, er war kreidebleich. Niemand sprach ein Wort. Nach einem unangenehmen Moment des Schweigens gab der Hauptmann endlich den Befehl, weiter zu marschieren und die Reste der Ruine zu erkunden.
    Das Stillstehen schien Kjoren unendlich schwergefallen zu sein, denn als die Anspannung von ihm abfiel,

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