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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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keine Schuld an seiner Misere traf, das wusste er. Trotzdem ärgerte er sich maßlos über sein Unglück.
    Er kaufte bei einem Straßenverkäufer ein nicht näher definierbares frittiertes Gebäckstück. Es war ihm egal, was er sich in den Mund steckte, denn sein knurrender Magen ließ sich nicht länger ignorieren. Hungrig schlang er die faustgroße und in Zucker gewälzte Teigkugel hinunter und eilte schnellen Schrittes die Hauptstraße entlang nach Süden. Er wollte so schnell wie möglich dieses gottverdammte Dorf verlassen. Weitere drei Tage zu Fuß. Es war zum Verrücktwerden.
    Kjoren folgte für mehrere Stunden der Uferstraße. Der Wind blies mit unverminderter Kraft. Verkrüppelte Bäume wuchsen nahe am Abgrund zwischen den Felsspalten und boten dem anhaltenden Sturm tapfer die Stirn. Doch der Wind hatte ihre verkümmerten Äste zu bizarren Gebilden geformt. Ihre Blätter waren klein und eher beige als grün. Den wohltuenden Anblick einer blühenden Wiese suchte man in dieser Gegend vergebens. Nur trockenes Moos und niedriges Gras wagten es, die Köpfchen aus dem Boden zu recken.
    Die geebnete und begradigte Sandstraße, die Budford mit Valana verband, wirkte wie ein Fremdkörper. Sie schien sich wie Säure in den steinigen Untergrund geätzt zu haben. Es war eine von Valanen geschaffene künstliche Notwendigkeit, die auch nach vielen Jahrzehnten ihrer Herrschaft noch unnatürlich und keinesfalls in die Landschaft integriert zu sein schien. Die hohen Häuser und planierten Straßen der Valanen gehörten nicht hierher. Sie wucherten wie ein Geschwür, das das Land äußerlich verunstaltete und innerlich verkümmern ließ.
    Kjoren begegnete nur wenigen Reisenden, und wenn, dann grüßten sie nicht oder waren kurz angebunden. Der Staub, den die Karren und Pferde aufwirbelten, wurde vom stetig blasenden Wind hinweggefegt. Der Verkehr auf den Straßen würde zunehmen, je näher er der Großstadt kam. Momentan glich die Umgebung bloß einem öden Stück Land, das außer der Straße noch keine Anzeichen von Besiedlung aufwies. Er war an keinem Dorf vorbeigekommen und gegen Mittag knurrte sein Magen so laut, dass er missmutig etwas von dem Dauerbrot aß, das er noch in seinem Marschgepäck fand.
    Am frühen Nachmittag entdeckte er vor sich eine Kutsche, die sich nicht von der Stelle zu bewegen schien, weil sie keinen Staub aufwirbelte. Noch war sie zu weit entfernt, als dass Kjoren erkennen konnte, weshalb das Gefährt unbeweglich mitten auf der Straße stand. Er vermutete, dass es aufgrund eines Achsbruchs oder eines ähnlichen Problems liegen geblieben war. Erst als er näher war, erkannte er, dass neben den Zugpferden noch drei andere Pferde an die Kutsche angebunden waren. Er verzog das Gesicht zu einer missmutigen Grimasse, denn eines der Tiere war eindeutig Cliff. Sie waren also nicht weit gekommen. Kjoren nahm sich fest vor, mit erhobenem Haupt am Kutschbock vorüberzuschreiten und den Kutscher keines Blickes zu würdigen. Er würde nicht einmal fragen, ob sie Hilfe benötigten, obwohl süße Rache und ein schlechtes Gewissen in seinem Inneren stritten.
    Plötzlich gellte ein Knall wie ein Peitschenhieb durch die Luft. Kjoren blieb wie angewurzelt stehen. Zwei Männer sprangen aus der Kutsche, einer der beiden hielt einen Revolver empor. Kjoren erkannte die Gesichter der Männer nicht, denn sie hatten sich bunt gemusterte Tücher um Kopf und Hals geschlungen.
    Räuber , schoss es Kjoren in den Kopf.
    Eines der Zugpferde schrie vor Schreck auf. Es buckelte. Auch das andere Pferd tänzelte nervös, beide in unterschiedliche Richtungen, und brachten die Kutsche zum Wanken. Ein spitzer Schrei ertönte. Eine Frau! Die Diebe rannten von der Straße hi nunter und verschwanden zwischen den Sträuchern im offenen Gelände. Ganz helle schienen die nicht zu sein, ohne eine Wache einen Überfall zu begehen. Die drei alten Gäule, die an die Kutsche gebunden waren, blieben auffällig ruhig. Vermutlich waren sie taub oder hatten in ihrem Leben schon die eine oder andere Schießerei miterlebt. Die hochbeinigen Zugtiere jedoch gedachten, sich in ihrer Panik loszureißen. Kjoren näherte sich schneller. Eine Frau und ein Mann versuchten vergeblich, die wild gewordenen Pferde zu beruhigen. Kjoren lief zur Kutsche, unschlüssig, ob er sich einmischen sollte. Die Frau bekam die Zügel nicht zu fassen. Ihr langer blonder Zopf wirbelte wild umher. Ihr Begleiter kam von der anderen Seite ebenfalls nicht heran, da das zweite Zugpferd

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