Jenseits des Windes
Kjoren sein Leben als Deserteur erheblich erschwerte. Die Kriminalität nahm stetig zu und beinahe täglich erreichten ihn Meldungen über die Festnahme von gesetzlosen Firunen, was wiederum Scharmützel und Aufstände seitens rebellischer Firunen nach sich zog.
Kjoren erreichte das Grundstück von Mr. Bonette, der am Abend zuvor ein Mietpferd bestellt hatte. Kjoren führte Canet die kurze Auffahrt bis zur Eingangstür und betätigte den eisernen Türklopfer. Das weiß getünchte Haus von Mr. Bonette war recht groß, zweistöckig und mit stuckverzierten Umrahmungen an den Fenstern. Kjoren wartete, doch niemand öffnete. Er klopfte erneut. Ein Fenster öffnete sich im obersten Stockwerk. Der Kopf eines Mannes mit Schnauzbart tauchte über dem Fensterbrett auf.
»Kommen Sie mit dem Pferd hinter das Haus«, rief er und schloss das Fenster.
Kjoren führte Canet um das Haus herum auf eine weitläufige Terrasse. Eine Wiese lag dahinter. Zwei Schafe kauerten unter einem hölzernen Unterstand. Kjoren hatte nicht erwartet, mitten in der Stadt einen Garten vorzufinden. Von der Straße aus war er nicht einsehbar gewesen.
Die Tür zum Hof öffnete sich. Der Mann mit dem Schnauzbart kam heraus und begrüßte Kjoren. Er trug einen schwarzen Anzug und frisch geputzte Schuhe. Mit wenig fachmännischem Blick begutachtete er das Pferd und bat Kjoren, es auf die Wiese zu den Schafen zu stellen. Er tat, wie ihm geheißen.
»Ich heiße Hork, ich bin Mr. Bonettes Haushälter.« Er lächelte und streckte Kjoren die Hand entgegen. Sein Schnauzbart zuckte im Rhythmus seiner Worte.
Kjoren erwiderte seinen Gruß. »Ich heiße Leroy.« Er hatte sich bereits so sehr an seinen Decknamen gewöhnt, dass ihm das Lügen nicht mehr schwerfiel.
Für die Dauer eines Herzschlags schlich sich ob seines valanischen Vornamens ein ungläubiger Ausdruck auf Horks Gesicht, doch er besann sich und lächelte freundlich. »Freut mich sehr, Leroy. Möchten Sie nicht auf eine Tasse Kaffee hereinkommen? Mr. Bonette ist leider in der Stadt aufgehalten worden. Er hatte mich gebeten, seinen Sohn zur Bank zu schicken, um das Geld für das Mietpferd abzuholen. Er müsste jeden Moment zurück sein. Wir haben es uns abgewöhnt, allzu viel Bargeld im Haus zu haben. Man hört in letzter Zeit vermehrt von Unruhen und Einbrüchen, die selbst vor dem Südviertel nicht haltmachen.«
»Danke. Ich denke, ein paar Minuten kann ich noch erübrigen.« Eigentlich war es neben dem Geld bloß die Aussicht auf einen Kaffee, der Kjoren zu dieser Entscheidung veranlasste. Er legte keinen Wert auf einen Plausch, und schon gar nicht in einem solchen Haus. Doch er hatte keinen Kaffee mehr getrunken, seit er in die Armee eingetreten war.
Er begleitete Hork durch die Terrassentür ins Innere in den Salon. Die Räume sahen genauso gepflegt und ordentlich aus wie die Fassade. Kjoren fühlte sich unwohl und fehl am Platz. Er trug Arbeitskleidung, die zwar relativ sauber, aber dennoch nichts im Salon eines feinen Valanen verloren hatte. Hork bot ihm einen Platz an einem imposanten Tisch aus dunklem Edelholz an, der an einem Ende des über fünfzehn Yards langen Raums stand. Der Blick des Dieners haftete kurz auf seinem eisernen Halsband. Hork lächelte gequält, sagte jedoch nichts. Er entschuldigte sich für einen Moment und verschwand in der Tür zum Flur. Kjoren begann seinen Entschluss, Horks Einladung angenommen zu haben, zu bereuen. Er hasste all die piekfeinen Dinge, die sich reiche Leute in ihre Wohnzimmer stellten. Es gab kunstvoll bemalte Bodenvasen, teure Teppiche, Ölgemälde an den Wänden und allerhand anderen Schnickschnack. Allesamt Staubfänger. Wozu brauchte man so etwas? Man machte es allenfalls kaputt, wenn man nicht aufpasste, wohin man trat. Kjoren schüttelte sich. Das war kein Leben für einen auf dem Land aufgewachsenen Firunen wie ihn. Alles kam ihm künstlich und unnatürlich vor.
Hork kehrte mit einem Tablett, auf dem zwei herrlich duftende Tassen Kaffee standen, zurück und stellte es vor Kjoren auf die glänzend polierte Tischplatte. Er zog sich einen aus demselben Holz kunstvoll mit Schnitzwerk versehenen Stuhl heran und setzte sich ihm gegenüber.
»Haben Sie das Anwesen leicht finden können?«, fragte Hork höflich und nahm einen Schluck.
»Ja, ich kenne mich in dieser Gegend gut aus. Ich hatte allerdings kein so prunkvolles Haus erwartet.« Die meisten Kunden des Mietstalls waren allenfalls Valanen aus der Mittelschicht, die keinen Platz oder kein Geld
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