Jenseits des Windes
wirklich lieb gewonnen.
Er fand Kelly und Gord schließlich am Tisch sitzend in dem kleinen Raum über den Ställen, den sie sich gemütlich eingerichtet und wo sie schon so manch fröhlichen Abend verbracht hatten. Eine schmale steile Treppe führte hinauf.
»Kelly? Ich muss mit dir reden«, sagte Kjoren und setzte sich auf einen Hocker neben dem Tisch. Gord rührte in einer Teetasse, Kelly lehnte lässig mit dem Oberkörper auf der Tischplatte. Sie lächelte.
»Da bist du ja wieder. Hast du Canet bei Mr. Bonette abgegeben?« Sie ignorierte Kjorens Worte.
»Ja, habe ich.« Kjoren nahm die fünf Silbernen aus seiner Hosentasche und legte sie vor Kelly auf den Tisch.
»Dann kannst du gleich hinunter in die Werkstatt gehen und ein Zaumzeug ausbessern«, sagte Gord, während er Kjoren über den Rand der Teetasse hinweg mit einem strengen Blick bedachte. Er ärgerte sich vermutlich über Kjorens spätes Erscheinen.
Kjoren stieß ein leises Schnaufen aus. Er mochte Gord und die Arbeit im Stall. Doch er hatte eine Entscheidung getroffen. Es war nicht seine Art, um den heißen Brei herumzureden.
»Kelly, Gord, ich kann nicht mehr für euch arbeiten.« Ein klarer Satz, unmissverständlich und selbstsicher formuliert.
Einige Sekunden sagte niemand etwas. Gord stellte klirrend die Tasse auf den Tisch, ein wenig Tee schwappte über den Rand. Kelly zog die Stirn kraus und bedachte Kjoren mit einem Blick, als sei er geisteskrank.
»Ihr wisst, dass ich nur so lange hier arbeiten und Geld verdienen wollte, bis ich genug für eine Überfahrt in meine Heimat gespart habe«, fuhr Kjoren fort. »Ich denke, die Zeit ist reif für den Abschied.«
Gord schüttelte den Kopf. »Und du hast es damit so eilig, dass du nicht einmal mehr ein Zaumzeug ausbessern kannst?«
»Ich möchte heute noch zum Hafen.« Kjorens Blick irrte zwischen seinen beiden Arbeitgebern hin und her, die ihn immer noch ungläubig anstarrten. »Ich bin in der Stadt nicht länger sicher. Jeden Tag kommen mehr Soldaten. Ich habe heute gesehen, wie sie einen Firunen verschleppt haben. Ständig hört man von Mord und Vergewaltigungen. Ich kann es nicht riskieren, länger zu bleiben.« Vor allem, weil sie nach mir suchen , fügte Kjoren in Gedanken hinzu. Er war ein Mann der überhasteten Entscheidungen, daran hatten seine Arbeitgeber sich in den vergangenen Wochen bereits gewöhnt. Kelly und Gord versicherten Kjoren ihr Verständnis, sie würden ihn selbstverständlich nicht aufhalten. Kjoren wunderte sich dennoch, wie gelassen sie seine Entscheidung akzeptierten. Es bescherte ihm ein schlechtes Gewissen. Kelly und Gord waren anständige Leute, vermutlich die nettesten Valanen, die er je kennengelernt hatte. Selbst Kellys Mann Mort von der Pferdevermietung in Feddys war kein schlechter Kerl. Kjoren hatte sich seit dem Versuch vor sechs Wochen, ein Pferd bei ihm zu mieten, noch zwei Mal mit ihm unterhalten, als er zu Besuch nach Budford gekommen war. Und jetzt enttäuschte er alle maßlos!
Er fühlte sich schlecht, als Kelly ihm seinen restlichen Lohn auszahlte und sogar noch drei Kupferne obendrauf legte. Kjoren stieg auf den Heuboden, packte seine wenigen Habseligkeiten in den Rucksack und verabschiedete sich. Je schneller der Abschied, desto schmerzloser. Kelly und Gord wussten ebenso wie Kjoren um die Gefährlichkeit der Stadt für einen Firunen. Vielleicht hatten sie insgeheim schon länger mit seiner Kündigung gerechnet.
Bevor er endgültig den Hof verließ, besuchte Kjoren noch Cliff, den sandfarbenen Wallach, auf dem er damals in die Stadt geritten war. Er hatte an einen Schlachter verkauft werden sollen, doch Kjoren hatte sich erfolgreich dafür eingesetzt, ihn zu einem Reitpferd für Kinder zu machen. Zumeist waren es die ärmeren Familien, die dieses Angebot in Anspruch nahmen, und gelegentlich gab sogar jemand eine Spende. Gord hatte Kjorens Vorschlag anfangs belächelt, doch mittlerweile war ein hübsches Trinkgeld für den Mietstall zusammengekommen, ganz zu schweigen von der positiven Werbung. Cliff finanzierte sich sein Gnadenbrot. Kjoren wandte sich schweren Herzens von der Box ab. Wie weichherzig er geworden war. Schluss mit den Sentimentalitäten! Er verließ den Hof, ohne sich umzudrehen, zurrte den Rucksack fester um die Schultern und marschierte schnellen Schritts nach Südwesten. Die Münzen lagen tief verborgen in seiner Tasche. Es fühlte sich gut an, endlich das Geld für die lang ersehnte Reise nach Ona zu besitzen. Allerdings
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