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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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beschlich ihn den ganzen Weg über das ungute Gefühl, beobachtet und verfolgt zu werden, doch immer, wenn er sich umdrehte, konnte er nichts erkennen als das übliche geschäftige Treiben von Budford. Sicherlich bereitete es ihm bloß Unbehagen, so viel Bargeld bei sich zu tragen.

Dreizehn
    Ein folgenschwerer Irrtum
    S and und Erde knirschten zwischen seinen Zähnen. Ein moderiger Geschmack, als kaute er eine Handvoll Kompost, breitete sich auf seiner Zunge aus. Doch es störte ihn nicht, die schrumpelige Karotte schmeckte besser als die Abfälle, die er für gewöhnlich von der Straße auflas.
    Leroy stopfte sich den Rest der Wurzel in den Mund und schluckte, ohne richtig zu kauen. Gehetzt sah er sich um. Niemand beachtete den zerlumpten und abgemagerten Mann, der im von Unkraut überwucherten Garten neben einem Wohnhaus hockte und wie ein Tier in der Erde nach den Resten von Gemüse grub. Dies war nicht die rechte Jahreszeit, um Karotten und Kohl anzubauen, und deshalb hatten die Eigentümer des Grundstücks den Garten während der vergangenen Wochen nicht mehr gepflegt. Ein paar Knollen hatte man bei der Ernte jedoch übersehen. Sie schmeckten holzig und kaum genießbar, doch immerhin waren sie essbar.
    Leroy wischte sich die dreckverschmierten Finger an der abgetragenen Hose ab. Er hatte das Kleidungsstück einem Toten abgenommen, den er auf dem Weg raus aus Valana am Wegesrand hatte liegen sehen. Er hätte sich nie vorstellen können, jemals ein derart schändliches Verbrechen zu begehen, doch der Tote hatte gewiss keine Verwendung mehr für die Kleidung. Leroy hingegen war auf alles angewiesen, dessen er habhaft werden konnte.
    Nachdem in Valana die Unruhen ausgebrochen waren, hatte er sich auf den langen und beschwerlichen Weg nach Budford gemacht, ohne einen Kupfernen in der Tasche. Er hatte beabsichtigt, seine Eltern um Hilfe zu bitten, die in der Nähe von Budford einen kleinen Hof bewirtschafteten, doch unterwegs hatte ihn der Mut verlassen. Sein Vater und er waren im Streit auseinandergegangen. Die Angst, sein Vater könnte ihn verspotten und wegschicken, war zu groß. Leroy hatte sich daraufhin entschieden, in der Großstadt zu bleiben. Seine Überlebenschancen waren dort weitaus größer als auf dem Land, wo es einem mittellosen Herumtreiber schwerfiel, etwas zu essen aufzutreiben. Leider uferte die Situation in Budford noch mehr aus als die in Valana. Er konnte nur von Glück reden, dass er kein Firune war. König Jaham hatte es in den wenigen Wochen seiner Regentschaft bewerkstelligt, sich unbeliebter zu machen als das Fleckfieber. In den Straßen wimmelte es von Soldaten. Leroy lebte jeden Tag mit der Angst, man könnte ihn erkennen und als Deserteur verhaften. Es war ihm bis heute ein Rätsel, weshalb man ihn damals hatte vergiften wollen, und ebenso rätselhaft war sein Überleben. Falls der Anschlag wirklich ihm galt, hielt man ihn ohnehin für tot. Und wenn er ehrlich war – allzu weit davon entfernt war er nicht.
    Jemand öffnete die Fensterläden des Hauses, in dessen Garten Leroy hockte. Er zuckte zusammen und richtete sich jäh auf, um zurück zur Straße zu stolpern, doch man hatte ihn entdeckt.
    »Mach, dass du verschwindest, du dreckiger Dieb«, rief eine männliche Stimme aus dem Fenster. Leroy drehte sich nicht um, sondern hastete die Straße entlang bis um die nächste Hausecke. Er hatte sich mittlerweile an die abfälligen Blicke der Leute gewöhnt. Sie zeigten mit dem Finger auf ihn und wechselten auf die andere Straßenseite, wenn sie ihn sahen. Anfangs hatte es ihm wehgetan, doch der Schmerz wurde mit jedem Tag erträglicher.
    Leroy schleppte sich ein Stück weiter durch die Gasse. Dies war ein etwas besseres Viertel, in dem überwiegend Valanen lebten, die sich sogar einen Garten leisten konnten. Für ihn gab es hier das meiste Essen zu finden, doch er fiel unter den redlichen Bürgern auf wie ein bunter Hund. Im Ostviertel, in dem die Firunen eingepfercht und unter schlechten Bedingungen lebten, wäre seine Erscheinung weniger Aufsehen erregend gewesen, doch die Leute dort besaßen nichts, das es sich zu stehlen lohnte. Als Valane war es Leroy erlaubt, sich im Südviertel herumzutreiben, und er machte häufig Gebrauch von seinem Recht.
    Er zog sich die Hose hoch und zurrte das Seil stramm, das sie oben halten sollte. Es löste sich immer wieder, aber einen richtigen Gürtel hatte er bisher nicht gefunden. Durch das Gift in seinem Körper hatte er viel Gewicht verloren. Er sah

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