Jenseits des Windes
Wichtigeres. Er hatte sich jahrelang für seine Firuneneltern geschämt, hatte schändlich nie zu ihnen gestanden. Sollten Elane und Kjoren weiterhin glauben, er würde den Kampf gegen Jaham aufnehmen. Ha! Für ihn gab es nur einen einzigen Kampf zu bestreiten: den gegen seine Feigheit.
Mit jedem Schritt, den er sich dem Haus seiner Eltern näherte, nahm die Angst zu. Der kleine Bauernhof lag einige Meilen von der Straße landeinwärts am Rand eines alten Eichenwaldes. Hier hatte Leroy eine glückliche Kindheit verbracht. Erinnerungen fuhren ihm wie ein Dolch in den Leib. Er hatte sich einst geschworen, nie wieder hierher zurückzukommen, wohl wissend, dass es ihn schmerzen würde und das nur, weil sie Firunen waren, die ihn liebten?
Schon konnte er die blauen Fensterläden erkennen, wenig später den niedrigen Zaun, der den Vorgarten umfriedete. Alles wirkte noch genauso wie an dem Tag, als er das Haus verlassen hatte, nur ein wenig älter. Dieser Tag lag vier Jahre zurück. Damals hatte er sich nicht umgedreht. Er war in die Armee eingetreten, die ihn benutzt und verraten hatte, am Ende sogar beinahe seinen Tod bedeutet hätte. Wie würden seine Eltern reagieren, wenn er auftauchte und um Vergebung bat? Würden sie ihn mit offenen Armen empfangen? Lebten sie noch? Er schluckte hart. Wie würden sich Elane und Kjoren verhalten? Hoffentlich verloren sie kein Wort über Leroys vermeintlich wahre Abstammung. Er hegte wenig Hoffnung, dass sie nichts darüber sagen würden. Die beiden waren ihm schließlich nicht bis hierher gefolgt, um bei Kaffee und Kuchen über die guten alten Zeiten zu plaudern. Sie versprachen sich Informationen, die ihre Theorie weiter untermauerten. Als ob er sich dadurch überzeugen ließe. Er wollte nur eins, seine Eltern noch einmal wiedersehen, ehe Jaham Venell ihnen etwas antun konnte, sonst nichts.
Leroys Herz schlug ihm bis zum Hals, als er nach der eisernen Klinke des verwitterten Tors griff, das den Zugang zur Auffahrt versperrte. Es war nicht verschlossen, quietschend schwang es zur Seite. Leroy fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Er blieb stehen und schnappte nach Luft. Das Bauernhaus hatte er in einem besseren Zustand in Erinnerung. Der Putz bröckelte von der Außenwand. Die beiden Eichen, die sein Vater links neben das Haus gepflanzt hatte, waren beträchtlich gewachsen. Unkraut überwucherte den Vorgarten. Seine Mutter liebte die Gartenarbeit … Was war geschehen, dass sie ihn so verwahrlosen ließ?
Trotz des Nieselregens und der eisigen Kälte blieb Leroy noch einige Atemzüge lang regungslos auf dem schmalen Kiesweg stehen, der zur Tür führte. Alles in ihm sträubte sich, sich ihr zu nähern. Einerseits wünschte er sich nichts sehnlicher als eine Aussprache mit seinem Vater, andererseits wütete da dieser kaum zu ignorierende Drang, auf dem Absatz kehrtzumachen und davonzulaufen. Davonlaufen - das hatte er immer gut gekonnt. Übelkeit stieg in ihm auf.
»Nun geh schon«, meldete sich Kjoren plötzlich zu Wort. Leroy zuckte zusammen. Er klang ungeduldig. Elane zischte den Firunen verärgert von der Seite an und warf ihm einen mahnenden Blick zu.
Kjoren hatte recht. Er konnte nicht ewig hier stehen bleiben und auf ein Wunder hoffen, das ihm die bevorstehende Konfrontation ersparte. Er musste es tun. Obwohl sich ihm die Nackenhaare sträubten, setzte er sich langsam in Bewegung und steuerte auf die Tür zu. Als er direkt davor stand, rauschte sein Blut so laut in den Ohren, dass er Kjorens verärgertes Schnauben hinter ihm kaum wahrnahm. Er gab sich einen Ruck und klopfte. Einmal. Zweimal.
Niemand öffnete. Vielleicht waren seine Eltern nicht daheim? Nachdem er ein weiteres Mal geklopft hatte, wurde ein Stuhl geräuschvoll zurückgeschoben, gefolgt von Schritten, die sich der Tür näherten. Nur einen Herzschlag später öffnete sie sich. Leroy blickte in das Gesicht seines Vaters. Obwohl er ihn zweifelsfrei wiedererkannte, fuhr ihm ein Schreck durch die Glieder, der ihn beinahe das Bewusstsein verlieren ließ. Sein Vater wirkte mehr als verändert. Sorgenfalten hatten sich in seine Stirn gegraben, dunkle Ringe umrahmten seine matten Augen. Am meisten erschreckte ihn jedoch die ausdruckslose Miene des alten Mannes, als sich ihre Blicke trafen. Ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus. Alles in Leroy schrie danach, wegzulaufen. Ein Zittern durchfuhr ihn. Elane und Kjoren standen in einigem Abstand hinter ihm auf dem Kiesweg, er hörte sie miteinander tuscheln.
»Ich
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