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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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oder die einzige Lösung war, doch mittlerweile hatten sie sich alle ihrem kläglichen Schicksal ergeben. Niemandem blieb eine Wahl. Selbst, wenn sie der Besuch bei Leroys Eltern nicht weiterbringen würde, so konnte Kjoren dort vielleicht eine Weile unterschlüpfen. In Budford hätte er unter keinen Umständen bleiben können. Nie wieder eine Großstadt! Es erfüllte ihn mit Gram, dass ihm die Valanen mit ihren dummen Gesetzen die Rückkehr in seine Heimat verwehrten. Mehr als einmal ermahnte er sich zur Vernunft und Besonnenheit, damit er den Groll nicht an den beiden ausließ, die in seinen Augen zur falschen Rasse gehörten. Er griff sich an den Hals, der sich nackt und bloß und weich anfühlte. Wenn er sich die Haare nach Valanenart kurz schnitt und sie einfärbte, würde vielleicht niemand bemerken, dass er ein Firune war. Vielleicht konnte er dann doch noch eine Überfahrt kaufen ... Er schüttelte den Gedanken ab, trotzdem schnitt er sich am Nachmittag des dritten Tages das lange Haar mit dem Messer auf Fingerbreite ab. Leroy lobte ihn für seine Weisheit. Er hingegen hätte ihm am liebsten das Grinsen aus dem Gesicht gewischt.
    Als ob es ihm gefiel, sich als Valane auszugeben!
    Leider gelang es ihnen nicht, bis zum Abend das kleine Örtchen Feddys zu erreichen. Das Wetter schlug um und zwang sie, eine weitere Nacht im Freien zu verbringen. Der Wind frischte auf, und ein feiner Sprühregen benetzte alles mit einer Schicht aus winzigen, kalten Wassertropfen. Schon bald waren ihre Kleider klamm. Obwohl sie sich einen Unterschlupf unter einem mächtigen Baum suchten, froren sie entsetzlich und saßen schweigend die ganze Nacht aneinandergedrängt auf dem feuchten Boden. Der nahende Winter hatte das meiste Laub von den Ästen der Bäume getrieben, sodass es kaum möglich war, sich vor dem Regen zu schützen. Auch ein Feuer wollte sich nicht in Gang bringen lassen. Er durchlitt eine der schrecklichsten Nächte, die er je erlebt hatte, obwohl er als Soldat an so manche Unannehmlichkeit gewöhnt war. Niemand schlief fest, nur gelegentlich sank einem von ihnen für einen Moment der Kopf auf die Brust. Kjoren vertrieb sich die Zeit damit, Elane eingehend zu beobachten. Sie entsprach nicht seinem Schönheitsideal, aber hässlich war sie auch nicht. Ihr Gesicht drückte eine tiefe Trauer aus, allerdings beschwerte sie sich nie. Was hatte sie alles erdulden müssen? Ihr Blick wirkte stets stolz, aber voll von Schwermut.
    Als es dämmerte, erreichten sie endlich die ersten Ausläufer von Feddys, einige verstreute und heruntergekommene Bauernhöfe. Kjoren steuerte geradewegs auf die Hauptstraße zu, doch Leroy rief ihn zurück und wandte sich stattdessen nach Osten. Kjoren hatte sich gefreut, wieder auf einer planierten Straße laufen zu dürfen, doch seine Erwartungen wurden jäh enttäuscht. Leroy führte sie weiter in die Wildnis hinein. »Die Farm meiner Eltern liegt außerhalb«, hatte er gesagt. Seufzend ergab er sich in sein Schicksal, schnürte die Stiefel strammer und marschierte über lose Geröllbrocken, hüfthohes Gras und andere Hindernisse hinweg. Seine Füße schmerzten fürchterlich, er spürte jeden Stein unter den Sohlen. Doch er wagte es nicht, sich zu beklagen. Elane beklagte sich schließlich auch nicht. Und sie war immerhin eine verwöhnte Frau!
    Eine halbe Stunde später erblickte er in der Ferne die Umrisse eines Hauses. Rauch schraubte sich aus dem Schornstein. Hoffentlich waren Leroys Eltern gute Gastgeber. Er hatte einen Mordshunger.

Sechzehn
    Ein verhängnisvolles Wiedersehen
    D ie Entbehrungen der vergangenen Tage, der Regen, die Verzweiflung – all das hatte seinen Mut nicht halb so sehr geschmälert wie der Anblick seines Elternhauses. Leroys Kehle schnürte sich zusammen. Seit Tagen verspürte er nur den einen Wunsch: seine Eltern wiederzusehen. Die Sehnsucht nach ihnen, die er aus Scham so lange unterdrückt hatte, war mit einem Mal an die Oberfläche gestoßen und ließ sich fortan nicht mehr unterdrücken. In diesen düsteren Zeiten war kein Platz für falsche Eitelkeiten, das sah Leroy nun ein. Er musste sich mit seinen Eltern versöhnen, bevor sie in den Wirrungen des neuen Systems zu Schaden kamen. Von Elanes Gefasel hinsichtlich seiner angeblich adligen Abstammung wollte Leroy indes nichts wissen. Das Letzte, das er sich vorstellen konnte, war eine offene Konfrontation mit dem Königshaus. Allein der Gedanke daran war lächerlich! Er wollte nichts damit zu tun haben, es gab weitaus

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