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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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Brust sinken. Sofort kam Wayne vorgesprungen, um Bjart in sein Gesäß zu treten, doch der Firune rührte sich nicht. Er kippte langsam zur Seite, bis er regungslos im nebelverhangenen Gras liegen blieb.
    »Auch das noch«, fauchte Wayne und beugte sich zu ihm hinab. »Aufstehen!« Krähen stoben angesichts seiner lauten Stimme irgendwo in der Nähe auf. Der Trupp war stehen geblieben. Entsetzt starrte Kjoren auf Bjart hinab, der sich noch immer nicht rührte. Der Schreck fraß sich bis in sein Mark. Er durfte nicht sterben! Kjoren wollte sich zu ihm hinunterbücken, doch Wayne fuhr ihn an, er sollte gefälligst bleiben, wo er war.
    Nach kurzer Zeit stand fest, dass Bjart sich alsbald nicht mehr erheben würde. Er war krank, erschöpft und ausgehungert. Man gab ihm aus einem der Wasserschläuche zu trinken, doch er konnte nicht aufstehen. Nathan beschloss, ihn von den Fußfesseln zu befreien und ihn auf den Karren zu laden, damit sie nicht noch mehr Zeit verloren. Niemand schien sich um sein Wohlergehen zu sorgen. Ein kleiner stämmiger Soldat griff Bjart unter die Arme und schickte sich an, ihn sich über die Schulter zu legen. Plötzlich, als seien seine Lebensgeister zurückgekehrt, stieß Bjart ihn von sich weg. Er stand aufrecht, kein Anzeichen von Schwäche oder Krankheit merkte man ihm an. Er blickte sich hastig um und machte nicht mehr den Anschein, als sei er ein gebrechlicher Mann. In seinen Augen funkelte Tatendrang. Schneller, als Kjoren ihm zugetraut hätte, rannte Bjart an den Männern vorbei, geradewegs Richtung Abgrund.
    »Hinterher«, brüllte Nathan.
    Die anderen Männer reagierten quälend langsam. Nathan nestelte an seinem Gewehr herum. Als er es endlich ausgerichtet hatte, war Bjart längst außer Schussweite. Kjoren schmunzelte innerlich. Nathan war dumm wie alle anderen, völlig inkompetent. Vermutlich hatte er in seinem ganzen Leben nie ein Gewehr abgefeuert, spielte sich aber auf wie ein General.
    »Jetzt!« Bjarts Stimme drang an Kjorens Ohren, er brüllte aus voller Kehle. Das Zeichen! Er sah sich um. Keiner der Soldaten achtete auf ihn. Einige rannten wie ein Haufen Ameisen Bjart hinterher, geradewegs Richtung Abgrund. Kjorens Herz hämmerte wie eine Kriegstrommel. Er hätte in die entgegengesetzte Richtung laufen können, doch wie weit würde er kommen? Die Erkenntnis fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Bjart wollte, dass er seine Flügel benutzte! Deshalb hatte er es also als glückliche Fügung angesehen, dass man Kjoren kein Halsband angelegt hatte. Aber Kjoren konnte doch überhaupt nicht fliegen! Niemals zuvor in seinem Leben hatte er seine Flügel benutzt, er wusste nicht einmal, welche Farbe sie hatten! Zorn über sich selbst stieg wie Lava in ihm auf. Er durfte Bjarts Opfer nicht entehren. Er musste entkommen.
    Er versuchte fieberhaft, seine Flügel zu entfalten, doch es wollte ihm nicht gelingen. Wie um Himmels willen funktionierte es? Panik und Zeitdruck ließen seinen Blick verschwimmen. Konzentriere dich! Er rief sich ein Bild vor sein geistiges Auge und stellte sich angestrengt vor, wie er sich in die Lüfte erhob, aber auch das nützte nichts. Er spürte nicht einmal ein Kribbeln. Vielleicht war er eine Missgeburt, ein Firune, der nicht fliegen konnte?
    Er erschrak, als einer der Soldaten ihn am Ärmel packte und hinter sich her auf den Abgrund zuzog.
    »Los, komm. Wir müssen hinterher«, knurrte er. Er stank widerlich nach Schweiß und Dreck.
    Verzweiflung ergriff und schüttelte Kjoren, bis ihm die Knie schlotterten. Er war kaum in der Lage, mit dem Soldaten mitzuhalten. Mit festem Griff hielt er Kjorens Oberarm umklammert. Er hätte sich losreißen können, fühlte sich jedoch nicht imstande dazu. Schwäche drückte ihn nieder. Er hatte versagt.
    Sie erreichten den Rand des Abgrunds. Die anderen Männer standen am Rand der steil abfallenden Felsen und starrten in die Tiefe, als gäbe es irgendetwas anderes zu sehen als Luft und Dunkelheit. Der starke Wind riss Kjoren beinahe von den Beinen.
    Wayne stieß einen wütenden Schrei aus. »Der Idiot ist da runter gesprungen! Er ist gesprungen, kann man das glauben? Er hat sich umgebracht! Jetzt werden wir nichts mehr aus ihm herausbekommen.«
    Kjoren benötigte mehrere Atemzüge, um die Bedeutung der Worte zu verstehen. Bjart hatte sich hinabgestürzt? Der Gedanke schockierte ihn. Es bedeutete den sicheren Tod. Niemand wusste, wie tief man fiel, ehe man aufschlug. Übelkeit und Schwindel überwältigten ihn. Gleichzeitig

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