Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
Vom Netzwerk:
lag rohes Fleisch offen, rot und entzündet. Es gab keine widerlichere, schmachvollere Art, seinen letzten Gang anzutreten. Nur einer der Soldaten, die sie überfallen und verschleppt hatten, ritt auf einem Pferd, der Rest ging zu Fuß. Sie führten einen kleinen Eselskarren mit sich, auf dem sie den Proviant verstaut hatten. Diese Männer besaßen kein Ehrgefühl. Kein Einziger unter ihnen trug ein Abzeichen auf der Uniform, kein Offizier, kein Befehlshaber. Sie waren niedere Fußsoldaten, und noch dazu dumm und dreckig. Er wusste noch immer nicht genau, aus welchem Regiment sie stammten und wer sie befehligte, er hatte lediglich belauschen können, dass sie schon vor ihrer Ankunft am Haus von Leroys Vater Bjart auf sie gewartet hatten. Bjart und er hatten nicht viel Gelegenheit bekommen, sich während der zwei Tage ihrer bisherigen Reise zu unterhalten, aber er schien mehr Ehre im Leib zu haben als der ganze dreckige Haufen valanischer Soldaten, der sie malträtierte, quälte und wie Vieh vor sich hertrieb. Kjorens linker Fuß war mit einem Seil an Bjarts rechtem Fußgelenk gebunden. Glücklicherweise maß es mehr als drei Ellen, sodass ihnen das unbequeme Laufen im Gleichschritt erspart blieb. Der arme alte Mann tat Kjoren leid. Er war weniger kräftig als Kjoren, außerdem trug er dünne Hauskleidung, kaum dazu geeignet, einen tagelangen Gewaltmarsch von Feddys nach Valana zu unternehmen.
    Kjoren sah sich müde um. Als er das letzte Mal diese Straße benutzt hatte, war ihm der Weg wesentlich kürzer vorgekommen. Damals war er frohen Mutes gewesen, frei und voller Pläne für die Zukunft. Jetzt fraß sich das Wissen um die Hoffnungslosigkeit seiner Lage in sein Bewusstsein wie Säure. Er würde sterben, dessen war er sich sicher. Man würde ihm keinen anständigen Prozess machen, ebenso sicher. Wahrscheinlich schleiften ihn die Soldaten lediglich deshalb lebend hinter sich her, weil sie sich eine Belohnung versprachen.
    Ein Umstand, der Kjoren zutiefst beunruhigte, war, dass ihn die Soldaten noch immer mit Cyles ansprachen. Er spielte das Spiel bislang mit, weil er bezweifelte, bessere Optionen zu haben, wenn er sich als ein fahnenflüchtiger Firunensoldat zu erkennen gab. Wahrscheinlich jedoch war es einerlei, der Tod hatte ihn in seinen Klauen.
    Bjart hatte ihn gleich zu Beginn ihres Marsches in einem unbeaufsichtigten Moment inständig gebeten, die Fassade aufrechtzuerhalten, Leroy zuliebe. Kjoren tat ihm den Gefallen. Was hätte es für einen Unterschied gemacht? Zumindest blieb ihm das schreckliche Eisenhalsband erspart, das sie bei Bjart mit einem Schloss versehen hatten. Er fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis seine Tarnung aufflog. Immerhin sah sein Äußeres alles andere als valanisch aus, aber zum Glück starrten seine blonden geschorenen Haare vor Dreck. Wahrscheinlich waren die Soldaten ohnehin viel zu dumm, um den Unterschied zwischen einem Valanen und einen Firunen zu erkennen. Seit geraumer Zeit fragte er sich, wie es Elane und Leroy ergangen sein mochte. Noch glühte ein Funken Hoffnung in ihm, dass die beiden es vielleicht sogar schafften, bis nach West-Fenn zu gelangen, um Leroy zu seinem Erbe zu verhelfen. Er wünschte nicht sehnlicher, als in Frieden bei seinem Vater auf Ona leben zu können. Sollte es auch erfordern, das gesamte derzeitige Königshaus zu hängen, so sollte sich Leroy besser sofort an die Arbeit machen. Aber es gab noch einen anderen Grund, weshalb sich Kjoren sorgte: Er konnte Elane nicht vergessen, dieses schnippische Valanenweib. Ja, er hatte ihre Gesellschaft genossen. Und es war zwecklos zu leugnen, dass ihr Duft ihn betört hatte, wenn sie nachts dicht beieinandergelegen hatten. Allein für den Frevel verdiente er wohl den Tod.
    Die Stunden zogen sich endlos in die Länge. Kjoren versuchte, sich von seinen Schmerzen abzulenken, indem er die niederträchtigen Männer beobachtete und ihnen Namen gab. Er wollte wissen, mit wem er es zu tun hatte und gegen wen er seinen Hass richten musste. Von wenigen der Männer kannte er die echten Namen, denn er spitzte immer die Ohren, wenn sie sich unterhielten. Sie diskutierten darüber, wie sie die Belohnung für die Ergreifung des Thronerben unter sich aufteilen sollten. Einer der Männer, ein dünner großer Kerl mit drahtigen Gliedern, hieß Nathan. Kjoren hatte ihm den Beinamen Wiesel gegeben. Seine schnarrende Stimme klang nervig. Er war mit Abstand der Bösartigste von ihnen und schien so etwas wie die Befehlsgewalt

Weitere Kostenlose Bücher