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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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frostig vonstattengegangen , was sie noch immer in Erstaunen versetzte. Sie hatten nur vier Tage für die Reise nach West-Fenn benötigt, weil Ibrik es recht eilig gehabt zu haben schien. Sie waren nur im Schutz der Dunkelheit geflogen, bei Tage schlugen sie in der Wildnis Lager auf. Es war eine abenteuerliche Fahrt gewesen, wenig bequem, aber erstaunlich effektiv. Besonders das kurze Stück zwischen Lyn und West-Fenn, als sich nichts weiter als Leere und Wind unter dem dünnen Unterboden des Planwagens erstreckt hatte, kam ihr nun wie ein Traum vor. Sie hatte sich auf den Boden des Wagens gekauert, die Augen geschlossen und fortwährend zum b armherzigen Gott gebetet. Doch ihre Sorgen hatten sich als unbegründet erwiesen. Weder hatte der Wagen geschaukelt noch war seine morsche Konstruktion im heftigen Sturm auseinandergefallen. Sie wunderte sich immer noch, wie wenig anfällig Firunen gegenüber dem stetig peitschenden Wind waren. Keine Böe vermochte sie vom Kurs abzubringen. Wahrlich wirkten sie Zauber, nicht zu vergleichen mit dem Flug eines Vogels oder Insekts. Trotzdem fühlte sie sich sehr erleichtert, als sie endlich wieder festen Boden unter den Füßen spürte. Nachdem sie auf einer Lichtung mitten in einem Nadelwald gelandet waren, hatten sich Ibrik und Lotta hastig von ihnen verabschiedet und waren ihrer Wege gegangen.
    Nun wieder allein gingen sie nach Nordosten, in die Richtung, die Ibrik ihnen gewiesen hatte. Das Kloster Ceregrym solle nach seiner Aussage weniger als einen Tagesmarsch entfernt sein. Sie stapften schon seit über zwei Stunden über den weichen, nach Moos und Pilzen duftenden Waldboden. Die Bäume standen so dicht, als wollten sie miteinander kuscheln, und obwohl es Nachmittag war, und die Sonne hoch stand, war das Licht gedämpft.
    Stille. Eine solch vollkommene Ruhe hatte Elane in ihrem bisherigen Leben noch nie erlebt. In Valana herrschte lautes, geschäftiges Treiben. Dieser Wald hingegen lebte friedlich, in natürlicher Perfektion. Unendlich wertvoll. Elane begann zu verstehen, weshalb die Firunen sich so vehement gegen die Lebensweise der Valanen wehrten. Yel musste einmal ein wunderschöner Ort gewesen sein, und Teile davon waren es noch heute. Hier auf West-Fenn gab es keine Straßen, keine Städte und – bis auf die Mönche des Klosters – keine Valanen. Die Böden waren wenig fruchtbar, deshalb stand die Erschließung der kleinen Insel nicht auf der Liste des Königs. Neben West-Fenn waren Ean und Eld die einzigen beiden Inseln, auf denen Firunen noch so lebten, wie sie es immer getan hatten. Elane fühlte sich wie ein ungebetener Gast, der die Ruhe des Waldes störte. Es war immer eine Selbstverständlichkeit für sie gewesen, dass Yel ihre Heimat war, doch in Wahrheit blieben alle Valanen nichts als ungebetene Gäste, die vor Jahrhunderten aus der Unteren Welt hierhergelangten und die Idylle verpestet hatten. Bis heute gab es nur Gerüchte darüber, woher genau sie kamen und wie sie es geschafft hatten, in dieses Paradies über den Wolken einzufallen. Das Wissen um ihr plötzliches Auftauchen schien irgendwo in der Geschichte verloren gegangen zu sein.
    Elane schüttelte die düsteren Gedanken ab, sie erfüllten sie mit Traurigkeit.
    Am Abend lagerten sie in einer Grube unter einem ausgehöhlten Nadelbaum. Sie bibberte schon eine ganze Weile. Die Nacht nahte bitterkalt durch den düsteren Wald, und so weit im Norden überzog bereits eine dünne Eiskruste die Wipfel der Bäume, dort, wo der Wind am eisigsten blies. Ihr Atem waberte in weißen Wolken vor ihrem Gesicht.
    Sie schafften es, ein kleines Feuer zu entzünden, und aßen von den Vorräten, die Ibrik ihnen geschenkt hatte. Bevor die Sonne im Westen versank, machte sich Leroy auf, Wasser zu suchen. Er kehrte erst zurück, als sich die Dunkelheit wie ein blickdichtes Tuch über das Land gelegt hatte. Er hatte eine magere Quelle ausfindig gemacht und ihre Wasserschläuche gefüllt. Obwohl er noch immer dünn und krank wirkte, schien sich sein Allgemeinzustand deutlich gebessert zu haben.
    »Findest du es nicht auch seltsam?«, fragte Leroy, als sie nahe an dem Feuer saßen, und sich die Hände wärmten. Seine Stimme klang belegt. Er räusperte sich. Für einen langen Zeitraum hatten sie nicht gesprochen.
    »Was meinst du?«
    »Ich meine, dass alles viel zu schnell ging. An der ganzen Geschichte ist etwas faul.«
    Elane zuckte die Achseln. »Ich wundere mich schon lange nicht mehr über die Irrungen und Wendungen des

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