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Jenseits von Afrika

Jenseits von Afrika

Titel: Jenseits von Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Blixen
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Kisuaheli sprechen lernte, hatte meine Mitwirkung bei diesem Schriftverkehr etwas sehr Eigenartiges; ich konnte etwas vorlesen, ohne ein Wort davon zu verstehen. Das Kisuaheli besitzt keine eigene Schrift, erst die Weißen haben die Sprache aufgezeichnet; die Worte werden genau nach der Aussprache geschrieben, so daß keine altertümliche Orthographie dem Leser Fallen stellt. So saß ich denn da und las die Schriftstücke buchstabengetreu, Wort für Wort, die Empfänger der Briefe umringten mich in atemloser Spannung und verfolgten den Text, den ich vortrug, ohne im mindesten zu wissen, worum es ging. Manchmal brachen sie bei meinen Worten in Tränen aus oder rangen die Hände, ein anderes Mal jauchzten sie vor Freude auf, aber meistens lachten sie, schüttelten sich ununterbrochen vor Lachen, während ich las.
    Als ich allmählich anfing, zu verstehen, was ich las, merkte ich, daß eine Nachricht an Wichtigkeit um ein Vielfaches gewinnt, wenn sie niedergeschrieben ist. Mitteilungen, die mit Zweifel oder Geringschätzung aufgenommen worden wären, wenn man sie mündlich weitergegeben hätte – denn alle Schwarzen sind große Skeptiker –, galten nunmehr als unverbrüchliche Wahrheit. Die Schwarzen sind außerordentlich hellhörig, wenn beim Sprechen Worte verwechselt werden; derlei Fehler machen ihnen einen diebischen Spaß, und sie vergessen sie nie; man kann sich durch eine einzige Entgleisung der Zunge lebenslänglich einen Spitznamen zuziehen. Aber wenn im Geschriebenen sich ein Fehler fand, was oft vorkam, da die Schreiber recht ungebildete Leute waren, dann bestanden sie darauf, irgendeinen Sinn hineinzudeuten; sie grübelten und debattierten darüber, aber sie glaubten lieber das sinnwidrigste Zeug, als daß sie angenommen hätten, etwas Geschriebenes könne falsch sein. In einem der Briefe, den ich einem jungen Burschen der Farm vorlas, teilte der Schreiber unter anderem ganz lakonisch mit: »Ich habe einen Pavian gekocht.« Ich erklärte ihm, er wollte wohl sagen, er habe einen Pavian gefangen, weil im Kisuaheli die beiden Wörter eine gewisse Ähnlichkeit haben. Aber der Empfänger war damit gar nicht einverstanden. »Nein, Msabu, nein«, sagte er, »was hat er in meinem Brief geschrieben? Was steht da geschrieben?« – »Er hat geschrieben«, sagte ich, »daß er einen Pavian gekocht hat; aber wie käme er dazu, einen Pavian zu kochen? Und wenn er es wirklich getan hätte, dann würde er doch mehr davon schreiben, damit du wüßtest, warum und wie er es getan hat.« Der junge Kikuju war sehr niedergeschlagen über eine so kritische Einstellung zum geschriebenen Wort; er ließ sich seinen Brief geben, faltete ihn sorgfältig zusammen und zog mit ihm ab.
    Der Bericht Jogonas, den ich aufgenommen hatte, erwies sich als höchst nützlich, denn nachdem der Bezirkskommissar ihn gelesen hatte, wies er die Berufung der Leute von Nyeri ab, und sie zogen maulend wieder heim in ihr Dorf, ohne von der Farm etwas profitiert zu haben.
    Das Schriftstück wurde nun Jogonas großer Schatz. Ich habe es noch mehr als einmal wieder zu sehen bekommen, denn Jogona machte sich ein perlenbesticktes Ledersäckchen dafür und hängte es sich um den Hals. Von Zeit zu Zeit, meist sonntags morgens, erschien er unversehens vor meiner Tür, nahm sein Säckchen herunter, holte das Papier hervor und ließ es sich vorlesen. Einmal, als ich krank gewesen war und zum erstenmal wieder ausritt, erblickte er mich von ferne, rannte mir ein weites Stück nach und blieb atemlos neben meinem Pferde stehen, um mir sein Dokument zu überreichen. Bei jeder Lesung nahm sein Gesicht denselben Ausdruck tiefer frommer Siegesfreude an; hinterher glättete er das Papier sorgsam und tat es in das Säckchen zurück. Die Bedeutung des Dokumentes wurde durch die Zeit nicht verringert, sondern gesteigert, als wäre für Jogona das größte Wunder daran, daß es unverändert blieb. Die Vergangenheit, die festzulegen so schwer gewesen war, die sich wohl jedesmal, wenn er an sie dachte, zu verändern drohte, war hier eingefangen, besiegt und festgebannt vor seinen Augen. Sie war Geschichte geworden, an ihr war nun nichts Wandelbares mehr und kein Schatten einer Veränderung.

Wanyangerri
    Als ich das nächste Mal nach Nairobi kam, besuchte ich Wanyangerri im Krankenhaus.
    Ich hatte so viele Squatterfamilien auf meiner Farm, daß ich fast immer einen Patienten dort liegen hatte; ich war ständiger Gast des Hauses und stand mit der Oberin und den Wärtern auf

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