Jenseits von Afrika
Wendigkeit jedem Gedanken Farahs folgend und doch während der ganzen Sitzung unter dem Druck der Lage seufzend, unter dem Druck auch seines eigenen verschreckten Herzens: denn er war die Hauptperson, er war die Ware.
Die große Versammlung, mit der der Unfall auf der Farm endgültig abgetan werden sollte, begann in friedlichem Geiste. Die Bewohner der Farm freuten sich alle, Kinanjui zu sehen. Die ältesten Squatter erhoben sich und traten herzu, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln, und zogen sich wieder zurück, ihre Sitzplätze auf dem Rasen einzunehmen. Einige alte Weiber an der Peripherie des Kreises kreischten mir zum Gruß ihr »Jambo Jerrie!«. Jerrie ist ein Kikujuname, mit dem mich die alten Frauen auf der Farm nannten. Auch die ganz kleinen Kinder benutzten ihn. Die Jugend und die alten Männer nannten mich niemals Jerrie. Kaninu war inmitten seiner großen Familie zur Versammlung erschienen; wie eine alte Vogelscheuche, die durch ein Wunder zum Leben erwacht war, stand er da mit glühenden gespannten Augen. Wainaina und seine Mutter kamen heran und setzten sich ein Stück abseits von den anderen.
Ich teilte den Leuten langsam und in eindrucksvollem Tone mit, die Sache zwischen Kaninu und Wainaina sei nun entschieden, die Entscheidung sei zu Papier gebracht worden, und Kinanjui sei erschienen, um sie zu bekräftigen. Kaninu solle Wainaina eine Kuh mit einem Milchkalb übergeben, und damit solle der ganze Vorfall begraben sein, da niemand mehr von ihm etwas hören wolle.
Kaninu und Wainaina war das Urteil vorher mitgeteilt und Kaninu angewiesen worden, die Kuh mit dem Kalbe mitzubringen. Wainainas Wühlarbeit war nächtlicher Art, bei Licht war er wie ein Maulwurf über Tage und sah so sanft aus, wie eben ein Maulwurf dann aussieht.
Als ich den Vertrag vorgelesen hatte, forderte ich Kaninu auf, die Kuh herbeizuholen. Kaninu erhob sich und winkte mit beiden Armen, viele Male auf und nieder, zweien seiner Söhne zu, die die Kuh hinter den Gesindehütten bereithielten. Der Kreis öffnete sich, und die Kuh mit dem Kalbe wurde langsam in die Mitte geführt.
In diesem Augenblick schlug die Stimmung der Versammlung um, als zöge ein Ungewitter am Horizont herauf und stiege rasch zum Zenit empor.
Es gibt nichts in der Welt, was ein Kikuju so fesselnd und wichtig findet wie eine Kuh mit einem Milchkalb. Mord, Hexerei, Geschlechtstrieb, ja, die Wunderwelt der Weißen – alles verdunstet und schmilzt dahin neben dem glühenden Brand der Leidenschaft für das Vieh, der noch den Geruch der Steinzeit mit sich führt, wie eine Glut, die man mit dem Feuerstein entfacht.
Wainainas Mutter stieß ein langes Klagegeheul aus und schüttelte ihren dürren Arm und Finger in der Richtung auf die Kuh. Wainaina stimmte mit ein; stotternd, in gebrochener Rede, als spräche ein anderes Wesen durch seinen Mund, erhob er seine Stimme zum Himmel. Die Kuh wollte er nicht annehmen, das war die älteste Kuh aus Kaninus Herde, und das Kalb, das sie bei sich hatte, war das letzte, das sie je tragen würde.
Kaninus Sippe brüllte auf und knatterte ihn nieder mit einem wilden Schnellfeuer von Lobpreisungen der Kuh, aus dem tiefste Bitterkeit und Todesverachtung herauszuhören waren.
Das Gesinde der Farm brachte es nicht über sich, still zu bleiben, wo es um Wert und Unwert einer Kuh und eines Kalbes ging. Jeder von den Anwesenden gab seine Meinung zum besten. Die alten Männer packten sich an den Armen und preßten den letzten Rest von Luft aus ihren asthmatischen Kehlen, die Kuh zu preisen oder zu schmähen. Die schrillen Soprane ihrer alten Weiber gesellten sich dazu und kreischten im Kanon hinterdrein. Die jungen Männer schleuderten sich in tiefem Brustton kurze tödliche Schlagworte ins Gesicht. In wenigen Minuten siedete es auf dem Platz vor meinem Hause wie in dem Kessel einer Hexe.
Ich blickte auf Farah, und er blickte auf mich, aber wie ein Träumender. Ich sah es ihm an; er war wie ein halb aus der Scheide gezogenes Schwert, das jeden Augenblick blitzend nach rechts und links in den kämpfenden Schwarm fahren wollte, denn die Somali sind auch Viehzüchter und Viehhändler. Kaninu warf mir einen Blick zu wie ein Ertrinkender, der endgültig von der Strömung fortgerissen wird. Ich schaute mir die Kuh an. Es war eine graue Kuh mit tief geschwungenen Hörnern; sie stand geruhsam mitten im Wirbelsturm, den sie erregt hatte. Als alle Finger sich nach ihr reckten, fing sie an, ihr Kalb abzuschlecken. Mir schien, daß sie
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