Jenseits von Afrika
Als sie zu uns kam, war sie elf Jahre alt und entwischte beständig dem Bann der Familie und trieb sich mit mir herum. Sie ritt mein Pony, sie trug mir mein Gewehr, oder sie rannte mit den Kikujutotos an den Fischweiher, raffte ihre Röcke auf und galoppierte mit ihrem Fangnetz barfuß durch das Uferschilf. Den kleinen Somalimädchen wird das Haar glatt abrasiert, nur ein Ring von schwarzen Löckchen bleibt rings um den Kopf stehen und eine große Locke obenauf; es ist eine hübsche Frisur und gibt dem Kinde das Aussehen eines sehr lustigen und spitzbübischen kleinen Mönches. Aber mit der Zeit und unter dem Einfluß der erwachsenen Mädchen wurde sie umgewandelt und erlebte, selbst bezaubert und gebannt, den Vorgang ihrer Umwandlung. Als wären ihr tatsächlich Gewichte an die Füße gebunden worden, fing sie an, langsam, ganz langsam zu schreiten, hielt die Augen musterhaft scheu gesenkt und legte ihre Ehre drein, zu verschwinden, sowie ein Fremder sich näherte. Ihr Haar wurde nicht mehr geschoren, und als der Tag kam, an dem es lang genug war, wurde es von den Mädchen gestriegelt und in lauter kleine Zöpfchen geflochten. Die Novize unterwarf sich mit Ernst und Würde allen Beschwerden der Zucht, man merkte ihr an, daß sie eher sterben würde als eine Pflicht des Gehorsams versäumen. Die alte Frau, Farahs Schwiegermutter, stand, wie mir Farah erzählte, in ihrer Heimat wegen der vortrefflichen Erziehung ihrer Töchter in hohen Ehren. Die Mädchen galten dort als Vorbild feiner Gesittung und als Muster der Weiblichkeit. Es waren auch wirklich drei junge Frauen von ausgesuchter Würde und Sittsamkeit, ich habe in meinem Leben keine vornehmeren Damen gesehen. Ihre mädchenhafte Zurückhaltung wurde durch die Art ihrer Kleidung noch betont. Sie trugen Röcke von ungeheurer Weite; man brauchte – ich weiß das, weil ich oft genug Seide und Kattun für sie gekauft habe – zehn Ellen Stoff für einen Rock. In diesen Faltenmassen bewegten sich ihre schlanken Knie in anmutigem, geheimnisvollem Rhythmus.
»Tes nobles jambes, sous les volants qu’elles chassent
Tourmentent les désirs obscurs et les agacent,
Comme deux sorcières qui font
Tourner un philtre noir dans un vase profond.«
Auch die Mutter war eine eindrucksvolle Gestalt, sehr stattlich, mit der mächtigen, wohlwollenden Geruhsamkeit eines Elefantenweibchens, das sich seiner Kraft freut. Ich habe sie nie zornig gesehen. Schulmeister und Erzieher hätten sie um die veredelnde Kunst ihres Einflusses beneiden können; in ihren Händen war Erziehung kein Zwang und keine Schinderei, sondern ein Geheimbund des An-Stands, zu dem den Zöglingen Zutritt gewährt wurde. Das kleine Haus, das ich ihnen im Walde erbauen ließ, war eine kleine Hochschule der weißen Magie, und die drei jungen Mädchen, die so anmutig die Waldwege ringsum begingen, waren wie drei junge Adepten, die sich mit größtem Eifer um die Kunst bemühten, wissend, daß sie am Ende der Lehrzeit über eine große Macht verfügen würden. Sie wetteiferten einträchtig um den Preis der Vortrefflichkeit: denn wenn man auf dem wirklichen Markt ist, wo der Wert, den man hat, offen besprochen wird, da wird der Wetteifer offenkundig und ehrenvoll. Farahs Frau, deren Preis nicht mehr zur Diskussion stand, nahm eine besondere Stellung ein, wie ein guter Schüler, der seine Lehrprüfung der Zauberkunst schon bestanden hat; man sah sie offen in vertrautem Gespräch mit dem alten Oberzauberer, eine Ehre, die den Mädchen nie zuteil wurde.
Alle diese jungen Frauen hatten einen hohen Begriff von ihrem Wert. Eine mohammedanische Jungfrau kann nicht unter ihrem Stande heiraten; das wäre für die Familie die tiefste Schmach. Ein Mann kann unter seinem Stande heiraten, er verliert nichts dabei; viele junge Somali haben Massaimädchen zu Frauen genommen. Aber während ein Somalimädchen wohl nach Arabien heiraten darf, kann keine Araberin nach Somaliland heiraten, denn die Araber sind eine höhere Rasse, weil sie dem Propheten näher verwandt sind, und unter den Arabern selber wieder kann ein Mädchen aus dem Hause des Propheten keinen Mann heiraten, der ihm nicht angehört. Kraft ihres Geschlechtes haben die weiblichen Glieder der Rasse einen Anspruch auf sozialen Aufstieg. Sie selbst verglichen ganz harmlos dieses Gesetz mit den Grundsätzen eines Rassegestüts, denn die Somali halten eine Stute hoch in Ehren.
Als wir uns näher kennenlernten, fragten mich die Mädchen, ob es wahr sei, was sie
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