Jenseits von Afrika
gehört hätten, daß es in Europa Völker gebe, bei denen die Mädchen umsonst an die Männer verschenkt würden. Ja, man habe ihnen sogar erzählt – obwohl sie sich das gar nicht vorstellen könnten –, daß ein Volk so heruntergekommen sei, daß man den Bräutigam dafür bezahle, daß er die Braut nehme. Schmach und Schande über Eltern und Mädchen, die sich zu etwas Derartigem hergäben. Wo bleibe da das Selbstgefühl, die Achtung vor den Frauen oder vor der Jungfräulichkeit? Wenn sie das Unglück gehabt hätten, in dem Volk geboren zu sein, sagten die Mädchen, sie würden ein Gelübde tun, unverehelicht ins Grab zu gehen.
Wir haben heutzutage in Europa keine Gelegenheit, die Technik der weiblichen Prüderie zu studieren, und in alten Büchern ist es mir nicht gelungen, ihr einen Geschmack abzugewinnen. Nun aber sah ich es vor mir, was meinen Großvater und meinen Urgroßvater auf die Knie gezwungen hatte. Es war zugleich eine Forderung der Natur und eine hohe Kunst, ein religiöser Kampf und Tanz zugleich, und wurde auf beiden Seiten mit gebührender Hingabe, Zucht und Gewandtheit ausgeführt. Der große Reiz lag dabei in dem Spiel entgegengesetzter Kräfte. Hinter dem ewigen Gesetz der Unnahbarkeit lag der Reichtum des Schenkens, hinter der Zimperlichkeit steckte das Lächerliche so gut wie die Todesverachtung. Diese Töchter eines streitbaren Volkes begingen das Zeremoniell der Unantastbarkeit wie einen großen Kriegstanz der Anmut: nicht sollte Butter in ihrem Munde schmelzen oder Rast ihre Glieder erquicken, ehe sie nicht das Herzblut ihrer Feinde getrunken hatten; so spielten sie die drei wilden Wölfinnen im sittsamen Schafspelz. Die Somali sind ein sehniges Geschlecht, gehärtet in den Wüsten und auf der See. Schwere Lebenslasten, harter Druck, hohe Wogen und lange Jahrhunderte müssen über diese Frauen hingegangen sein, ehe sie so harter leuchtender Bernstein wurden.
Die Frauen gestalteten Farahs Haus zu einem Heim im Stile der Nomaden – die jederzeit bereit sind, ihre Zelte abzubrechen –, mit vielen Decken und gestickten Behängen an den Wänden. Räucherwerk war für sie ein wichtiger Bestandteil der Häuslichkeit; viele Räucherharze der Somali sind ungemein süß. In meinem Alltag auf der Farm sah ich selten Frauen. So ergab es sich, daß ich abends, nach dem Tagewerk, gern auf eine stille Stunde zu der alten Frau und den Mädchen in Farahs Haus trat.
Sie nahmen an allem Anteil und hatten Spaß an kleinen Dingen. Irgendein Pech auf der Farm oder ein Witz über Vorkommnisse in der Nachbarschaft brachte sie zum Lachen, daß das Haus wie von lauter Glockenspiel erklang. Als ich ihnen das Stricken beibrachte, lachten sie darüber wie über ein Kasperletheater.
Sie waren nicht aus Unerfahrenheit so harmlos. Sie hatten alle schon Geburten und Sterbefällen beigewohnt und besprachen sie nüchtern bis ins einzelne mit der alten Mutter. Zuweilen erzählten sie zu meiner Unterhaltung Märchen im Stile der arabischen Nächte, meist von der komischen Gattung, in der die Liebe recht unverhüllt behandelt wird. Ein Zug kehrte in allen diesen Geschichten immer wieder: die Heldinnen, ob keusch oder nicht, schnitten immer gegen die Männer gut ab und triumphierten am Schluß der Geschichte. Die Mutter saß und lauschte mit leise lächelnder Miene.
In dieser geschlossenen fraulichen Welt, gleichsam hinter ihren Mauern und Bastionen, fühlte ich die Gegenwart eines hohen Ideals, ohne das sich die Besatzung nicht so ritterlich gehalten hätte, die Hoffnung auf das paradiesische Reich, in dem die Frauen die Oberherrschaft in der Welt antreten. Die alte Mutter würde dann in einer neuen Gestalt erscheinen, thronend als leibhaftiges dunkles Abbild jener mächtigen Göttin, die in uralter Zeit lebendig gewesen war, ehe der Gott des Propheten erschien. Sie verloren die Idee nie aus dem Auge, und doch waren sie vor allem anderen praktisch, mit Blick für das unmittelbar Erforderliche und unerschöpflicher Bereitschaft zu helfen.
Die jungen Frauen fragten mich aus nach den Sitten in Europa und hörten aufmerksam zu, wenn ich die Lebensart, Erziehung und Kleidung der weißen Damen beschrieb, als müßten sie ihre Kenntnis weiblicher Taktik um die Mittel bereichern, mit denen die Männchen einer fremden Rasse zu gewinnen und zu unterwerfen waren.
Ihre eigenen Kleider spielten eine ungeheure Rolle in ihrem Leben, und das war kein Wunder, denn sie waren ihr Kriegsmaterial, ihre Kriegsausrüstung und ihre
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