Jenseits von Feuerland: Roman
wieder nach Deutschland, folglich zu Nora, zurückkehren zu müssen, war ihm unerträglich. Obwohl ihm beruflicher Ehrgeiz bisher fremd gewesen war, erwachte dieser nun mit einer unglaublichen Entschiedenheit. Anstatt den Kopf einzuziehen und sich zu verabschieden, blieb er einfach und ließ sich und Balthasar von Heinrich Schmitzkes Gattin Rosa zum Nachmittagstee einladen. Es gäbe nicht nur Kuchen, verkündete sie mit verschwörerischem Grinsen, sondern auch herzhafte Brötchen mit Gurken – eine Gewohnheit, die sie von den ansässigen Briten übernommen hätten. Arthur erwiderte Rosas Lächeln von ganzem Herzen. Sie war ihm ein wenig zu gedrungen und ihre Augen zu wässrig, aber die apfelroten Backen mit den lieblichen Grübchen nahmen ihn sofort für sie ein. Allein weil er Deutscher war, behandelte sie ihn wie ein verlorenes Familienmitglied, und er war dankbar für die Herzlichkeit und das Gefühl von Heimat, das sie ihm in der fremden Stadt schenkte.
Frau Rosa lächelte nicht nur viel, sondern wusste auch eine Menge zu erzählen. Nichts, was im Geschäft ihres Mannes vorging, schien ihr zu entgehen, und dass Arthur das Gespräch vor allem auf diese Dinge lenkte, anstatt ihr von Hamburg zu erzählen, was sie sich eigentlich wünschte, schien sie ihm nicht übelzunehmen.
Ja, sie hätten ein eigenes Laboratorium, nicht sonderlich groß zwar, man könne sich nur einmal darin umdrehen, aber Destillierapparat, Presse und Mühle stünden dort. Nach Vorbild der »Drogueria Alemana« von Johannes Daube wollten sie es sogar noch vergrößern. Und ja, sie seien für viele Krankheitsfälle ausgerüstet. Manchmal helfe sie selbst im Laden mit und erkläre, wie sich Frauen mit Unterleibsentzündungen Eingießungen mit Wasser und Ichthyol geben sollten oder einem Säugling mit Fieber ein Klistier von Salicilabo mit Soda. Sie sprach so freimütig über intime Themen, dass keine Verlegenheit aufkam, obwohl Arthur an den zusammengepressten Lippen von Herrn Schmitzke erkannte, dass es diesem weder recht war, mit Arthur und Balthasar beim Tee zu sitzen, noch dass seine Frau nun so viel und schnell redete.
»Und welches Verbandszeug haben Sie in Verwendung?«, nutzte Arthur schließlich die erste Gelegenheit, eine Frage zu stellen.
Wieder war es nicht der Apotheker, sondern Rosa, die antwortete. »Gossypium depuratum!«, rief sie aus. »Entfettete Baumwolle!«
»Und sehen Sie!«, rief Arthur aus, und Hoffnung keimte auf, dass er doch noch irgendwie mit Herrn Schmitzke ins Geschäft kommen könnte. »Diese ist in Europa längst nicht mehr gebräuchlich.« Rasch fuhr er fort: »Die Merkur-Apotheke in Hamburg von Paul Carl Beiersdorf, die seit geraumer Zeit Salbenmulle herstellt, hat kürzlich etwas aus Amerika importiert, was einen ganz erstaunlichen Fortschritt gegenüber den bisher gebräuchlichen Verbänden darstellt: Kautschukpflaster nämlich. Diese bleiben auch im kalten Zustand haften, während bisherige Pflaster immer nur erwärmt kleben. Beiersdorf will weiter daran forschen und eine ganz besondere Art von Heilpflastern herstellen.«
Er spürte Balthasars verwunderten Blick auf sich ruhen. Offenbar fiel es dem Freund schwer zu glauben, dass er sich mit diesem Thema eingehend beschäftigt hatte – doch das hatte er tatsächlich. Von allen Wissensgebieten, die er mühsam hatte pauken müssen, war ihm die Desinfektion von Wunden stets als interessantestes erschienen – und dazu gehört auch die Frage, wie man diese Wunden nach der Behandlung am besten sauber hielt.
Nicht nur Balthasar blickte auf, auch Heinrich Schmitzke. »Wie gut kennen Sie Paul Carl Beiersdorf?«, fragte er gedehnt.
Die Wahrheit war – persönlich gar nicht, zumal Paul Carl Beiersdorf der größte Konkurrent der Hoffmanns war. Aber er sagte eifrig: »Ich könnte den Kontakt gerne herstellen – vorausgesetzt, dass Sie unsere Apotheke Hoffmann an Ihrem Unternehmen beteiligen.«
Rosa lächelte offen und freundlich – ihr Mann blickte ihn nur stirnrunzelnd an. »Sie müssten mir noch Ihr Können beweisen.«
»Ich bin studierter Pharmazeut! Aber wenn Sie wollen – ich kann mich gerne bei Ihnen in den Laden stellen!« Er erwiderte Rosas Lächeln, wenngleich nicht ganz so kokett, wie er es vielleicht getan hätte, wenn er mit ihr allein gewesen wäre. Herr Schmitzke erhob sich. »Ich werde Sie meine Entscheidung wissen lassen …«
Zum Abschied küsste Arthur Frau Rosa die Hand – und sie dankte es ihm damit, dass sie ihn am nächsten
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