Jenseits von Feuerland: Roman
bei seinem weiteren Aufenthalt in Valparaíso nichts fehlen – vor allem nicht genügend Papier, um durch die Gassen streunend alles zu zeichnen, was ihm in den Sinn kam. Arthur war fast ein wenig neidisch, als er daran dachte, dass das, was ihm bevorstand, ungleich beschwerlicher war. Immerhin musste er die Reise nicht allein antreten, sondern mit einem Zug anderer Kaufleute, die zwar keine medizinische Ware, jedoch Salpeter transportierten – Chiles wichtigstes Exportgut, wie er erfuhr. Er spielte sogar mit dem Gedanken, dort einzusteigen, falls es mit der Teilhaberschaft an der Apotheke nicht klappen würde. Was der Onkel davon hielt, konnte er zwar nicht prophezeien – doch wahrscheinlich war der überhaupt erleichtert, wenn der Neffe an irgendeiner Geschäftsidee Interesse zeigte.
Die Reise nach Argentinien wurde auf der ersten Wegstrecke mit dem Zug zurückgelegt, der von Santiago die Anden hinauffuhr. Dann folgte die mühseligste Etappe über den Andenpass bis zur Stadt Mendoza in Argentinien, die mit einer Muli-Karawane bestritten wurde. In Mendoza hieß es wieder, in einen ruckelnden, staubigen Zug einzusteigen, ehe man viele Tage später Buenos Aires erreichte. Dort galt es zu überwachen, ob die Waren auch sicher auf das Schiff nach Europa geladen wurden.
Arthur war jeden Tag so erschöpft, dass es beinahe weh tat. Bedacht darauf, die Waren heil zu transportieren und über die Männer, die sie schleppten, ein strenges Regiment auszuüben, ging ihm erst hinterher auf, dass er die wilde Berglandschaft kaum wahrgenommen hatte. Rückblickend hätte er nicht einmal zu sagen gewusst, ob er mehr Zeit gefroren oder geschwitzt hatte. Erst in Buenos Aires fiel ihm auch auf, dass er wochenlang keine einzige Frau gesehen und kaum getrunken hatte. Nun drängte ihn nichts dazu, das Versäumte rasch wieder wettzumachen. Die zwei Tage, bis sein Schiff ablegte, verbrachte er lieber in einem Hotel – um zu schlafen und wieder zu Kräften zu kommen. Noch auf der Wegstrecke nach Punta Arenas fühlte er sich müde, aber er litt kaum mehr an der Seekrankheit, und das erfüllte ihn mit Stolz. Sein Körper hielt nun mehr aus, hatte etwas an Gewicht verloren und war sehniger geworden.
Anders als während der Reise über die Anden, hatte er viel Zeit nachzudenken. Erinnerungen an das letzte Mal, da er die Magellanstraße durchquert hatte, suchten ihn heim. Er konnte Balthasars Stimme förmlich im Ohr hören, wie der ihn neckte. Nicht mehr lange … dann siehst du sie wieder.
Aber er würde sie ja nicht wiedersehen! Er wollte es nicht! Was würde es ihm auch anderes bringen, als dass sie ihm dann wieder monatelang durch den Sinn ging – diese herrische Frau, die ihm angedroht hatte, einen Weinkrug auf seinem Kopf zu zertrümmern. Deren blondes Haar wilder und lockiger als das aller Frauen war, die er kannte, und das im Steppenwind tanzte. Die prustend lachte, während er schlammverkrustet im Tümpel stand. Und nicht nur an das Lachen hatte er immer wieder denken müssen, auch an ihre Tränen. Die Tränen, die sie vergossen hatte, als die arme Rita …
Diese Gedanken mussten aufhören – und würden aufhören. Wenn er morgen weiterreiste, ohne sie gesehen zu haben, dann konnte er die Erinnerungen gewiss endgültig abschütteln. Sie würden von anderen Eindrücken überlagert werden, und er würde nicht länger zulassen, dass Balthasar über ihn spottete und ihm Gefühle einredete, die es nicht gab.
Entschlossen entfernte Arthur sich vom Hafen und tauchte in das Gewirr kleiner Gässchen ein – weiterhin sorgsam darauf bedacht, nicht in die Nähe der Casa Emilia zu kommen. Suchend blickte er sich nach einer anderen Herberge um. Je weiter er sich vom Hafen entfernte, desto mehr ließ der übliche Trubel nach. Wie schon bei seinem ersten Aufenthalt in Punta Arenas faszinierten ihn die vielen Sprachen, die man hier hörte, Portugiesisch und Walisisch, Spanisch und Schweizerdeutsch, Russisch und die Dialekte der Indianer. Doch nun, da es – wenn auch noch nicht Winter – viel kälter war als bei seinem letzten Aufenthalt, war das Stimmengewirr unaufdringlicher. Die meisten Worte konnte er gut hören, wenngleich nicht verstehen – nur den Sinn von einem Satz verstand er allzu genau.
Arthur kam gerade um die Ecke, als er einen Mann knurren hörte: »So, liebste Ana. Jetzt haben wir endlich mal wieder ein Stündchen für uns. Wie dumm von dir, ganz alleine unterwegs zu sein. Dachtest du wirklich, wir wären
Weitere Kostenlose Bücher