Jenseits von Feuerland: Roman
von ihr zu sehen. Er überlegte, nicht länger zu warten, seinen Stolz zu schlucken und ihr stattdessen entgegenzugehen, notfalls bis zur Casa Emilia, doch da trat plötzlich ein farbloses Mädchen auf ihn zu.
»Arthur Hoffmann?«, fragte sie. So akzentreich, wie sie den Namen aussprach, erkannte er ihn fast nicht wieder.
»Der bin ich!«, rief er dennoch.
»Emilia schickt mich … mit einer Nachricht.« Danach schwieg sie. Er war sich nicht sicher, ob er sie richtig verstanden hatte, denn wieder waren ihre Worte von dem starken Akzent verzerrt gewesen. Vielleicht klangen sie aber auch nur so schief in seinen Ohren, weil sie stark nuschelte.
»Ja?«, fragte er, als nichts mehr kam. »Warum ist sie nicht hier? Soll ich zu ihr …?«
»Nein«, unterbrach das Mädchen ihn knapp – mehr sagte es nicht.
Er seufzte. Warum musste er diesem farblosen Geschöpf nur alles aus der Nase ziehen? Er musterte das Mädchen genauer. Es wirkte unglaublich träge, und er konnte sich nicht recht vorstellen, dass Emilia eine solche Person freiwillig in ihrer Herberge arbeiten ließ.
»Nun sag schon!«, bedrängte er sie, doch als sie das endlich tat, wäre ihm lieber gewesen, sie hätte gar nicht erst zu reden begonnen.
»Emilia lässt Ihnen sagen, dass sie Sie nicht wieder sehen will und dass sie Ihre Hilfe nicht braucht«, sprach das Mädchen mit starr auf den Boden gerichtetem Blick. »Sie meint, dass es besser wäre, wenn Sie Punta Arenas so schnell wie möglich wieder verlassen.«
»Wie bitte?«
Das Mädchen hob den Blick und glotzte ihn ausdruckslos an.
Arthur glaubte, an seinem eigenen Atem ersticken zu müssen. Die erste Reaktion war nicht Enttäuschung, Kränkung, Ärger, sondern Entsetzen, so, als schlüge eine harte, eiskalte Faust in seinen Magen.
» Das hat sie gesagt?«, fragte er.
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Kann man es irgendwie falsch verstehen?«, gab es etwas schnippisch zurück.
Nun war er es, der einfach nur glotzte. Unmöglich, dass Emilia ihm genau das hatte ausrichten wollen! Doch unter dem nunmehr lauernden Blick des Mädchens stieg eine Erinnerung in ihm auf – die Erinnerung an jenen Tag, da sie durch das Flachland geritten war, er im Tümpel nach Emilias Kette getaucht hatte, die diese vermeintlich verloren hatte, und sie lachend und spottend davongeritten war, kaum dass er prustend wieder auftauchte. Ein Streich, schoss es ihm durch den Kopf, es war alles nur ein Streich. Damals, um sich für die Wette zu rächen. Heute, um …
Nein, er konnte sich keinen Grund denken, warum Emilia ihn derart täuschen würde! Er war sich sicher gewesen, dass diese Spielereien vorbei waren, dass sie ehrlich zu ihm war und ihn nicht wieder an der Nase herumführen würde! Und wenn sie ihn nun doch hereingelegt hatte, so dass er am Ende als der Dumme dastand?
Er ballte die Hände zusammen, denn Wut war das Einzige, was ihn von der kalten Faust beschützte, die wieder und wieder auf ihn einschlug. Er kämpfte darum, vor dem Mädchen die Fassung zu bewahren, doch er hatte seine Gesichtszüge nicht unter Kontrolle, die alles verrieten: die Ohnmacht, die Enttäuschung, vor allem aber die Scham. Emilia war es keinen Augenblick lang ernst mit ihm gewesen. Nicht so ernst wie ihm.
Kurz wollte er das Mädchen schütteln, bis es gestand, ihn belogen zu haben, dann überkam ihn ein anderer Drang: zur Herberge zu rennen, Emilia zur Rede zu stellen. Doch da ging ihm auf, dass es jämmerlich genug war, hier auf sie zu warten wie ein liebeskranker Tor – die Blöße, ihr nachzulaufen, würde er sich nicht auch noch geben!
»Du kannst ihr gern auch etwas ausrichten«, fuhr er das Mädchen an. Seine Stimme war kalt und heiser. »Ja, richte ihr aus, dass mir das gerade recht kommt! Dass ich unendlich froh bin, sie los zu sein! Und dass mir eine Nacht mit ihr mehr als genug ist! Es gibt schönere und strahlendere und lustigere Frauen. Ja, sag ihr das! Sag ihr genau das!«
Esteban versteckte sich im Schatten eines Hauses. Nahezu übermächtig war der Drang, sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, ob das Mädchen alles richtig machte, aber wenn er nicht auffallen wollte, musste er hier warten.
Hoffentlich stellte es sich nicht gar zu dumm an – dieses dumme, blinde Huhn!
Seine Mutter hatte ihm vor einiger Zeit Arbeit in der Herberge gegeben, und seitdem war er nicht sicher, worüber er sich mehr ärgerte: dass die Alte so langsam war und überhaupt Hilfe brauchte. Dass sie zu allem Überdruss das
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