Jenseits von Feuerland: Roman
ohne Erklärungen einfach sein Schiff bestiegen hatte, konnte sie sich noch besser vorstellen, wie Manuel sich damals gefühlt haben musste, als sie ihn verlassen hatte – verwirrt und wütend zugleich, ohnmächtig und traurig. Vielleicht hatte er sich trotzig eingeredet, dass sie es nicht wert sei, auch nur an sie zu denken – und war dann doch von verräterischer Sehnsucht überwältigt worden, sie wenigstens einmal noch wiederzusehen.
Nun, beschwor sie sich selbst immer wieder, sie konnte gut und gerne darauf verzichten, Arthur wiederzusehen. Sie brauchte ihn nicht! Es lebte sich so viel leichter ohne treulose Männer! Nie wieder wollte sie sich auf einen einlassen!
Das schwor sie sich inbrünstig – und wurde so unachtsam beim Nähen, dass sie sich mit der Nadel in den Finger stach und ihn noch lauter verfluchte.
Es war leichter, nicht an Arthur zu denken, wenn Ana bei ihr war. Wie die Herberge blieb auch das Bordell häufig leer, so dass sie die Abende in der Casa Emilia verbrachte, und wenn Rita und das Kind oben schliefen, setzte sich manchmal auch die Amme Juanita zu ihnen. Ihre Stimme war Emilia unangenehm, aber sie wusste jede Menge Tratsch zu erzählen, der Emilia und Ana bislang entgangen war.
In diesen Tagen gab es vor allem ein Thema, über das ständig gesprochen wurde und das Juanita nachhaltig beschäftigte – so auch an einem dieser Abende Mitte August. Um den Präsidenten Santa Maria ging es und um dessen großen Streit mit dem Papst. Ausgebrochen war dieser, weil der liberale Francisco de Paulo Taforó nach Wunsch des Präsidenten neuer Erzbischof von Valdivieso werden sollte. Papst Leo XIII. lehnte diesen ab, Santa Maria bestand jedoch darauf – und so kam es zum Abbruch sämtlicher diplomatischer Beziehungen zwischen Chile und dem Heiligen Stuhl. Santa Maria kam das nur eben recht. Die Kirche war ihm längst zu mächtig; schon lange hatte er im Sinn, deren Monopol über Eheschließungen und Geburts- und Todesregistrierung zu brechen.
»Stellt euch das nur vor!«, rief Juanita aufgeregt.
Was gläubige Chilenen am meisten erboste, war, dass Santa Maria im Zuge der Säkularisierung auch sämtliche Friedhöfe verstaatlichen ließ.
»Im ganzen Land wird dagegen protestiert!«, erklärte die Amme aufgeregt. »Doch er achtet nicht auf den Willen des Volkes, stellt sich seinen Bedürfnissen blind.«
»Ich habe gehört, dass mancherorts Särge aus den staatlichen Friedhöfen ausgegraben werden«, warf Ana trocken ein. »Man verscharrt die Leichname heimlich neben den Kirchen und füllt die Särge stattdessen mit Steinen.«
Sie lachte auf, als fände sie das komisch, und auch Emilia musste unwillkürlich grinsen.
Die Amme hingegen rief empört: »Viele fromme Katholikinnen weigern sich dieser Tage, den Rosenkranz zu sprechen. Weil der doch Santa Marias Namen beinhaltet!«
Sie nickte bekräftigend, als hielte sie das für eine gute Maßnahme, während Emilia laut losprustete.
Es war ein heller, befreiter Ton, und sie wunderte sich selbst darüber, dass sie dazu noch fähig war, doch schon im nächsten Augenblick blieb er ihr in der Kehle stecken.
Ein lautes Krachen ertönte, das sie alle gleichzeitig aufspringen ließ. Es kam von der Gaststube, und Emilia stürzte dorthin und drehte sich verwirrt in sämtliche Richtungen. Im ersten Moment konnte sie unmöglich sagen, was den Lärm verursacht hatte. Doch dann sah sie ein zerborstenes Fenster. Die meisten Fenster waren Sommer wie Winter mit Leder abgedeckt – nur eines war aus Glas, und in diesem klaffte ein riesiges Loch. Während sie noch entsetzt darauf starrte, schrie Ana plötzlich auf, stürzte an ihr vorbei und warf sich auf etwas, das auf dem Boden lag. Da erst erkannte Emilia, dass es kein Stein war, den man durch das Fenster geworfen hatte, sondern ein Holzstück – ein großes, lichterloh brennendes Holzstück. Offenbar war es zuvor in Teer getaucht worden, so dass es sich kaum löschen ließ. Ana hatte ihre Schürze gelöst, schlug mit dem Stoff darauf ein, aber die Flammen loderten munter weiter. Funken sprangen und erfassten die hölzernen Möbel; schon kroch Feuer einige Tischbeine hoch.
Hastig tat Emilia es Ana gleich, schlug erst mit ihrer Schürze, dann mit bloßen Händen auf das Feuer ein, ohne darauf zu achten, dass sie sich verbrannte. Juanita kreischte und schluchzte hinter ihnen, doch noch ehe Emilia sie anschrie, ihnen zu helfen, flogen weitere brennende Scheite durch das Fenster, schossen haarscharf an
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