Jenseits von Feuerland: Roman
unfähigste Mädchen von allen ausgewählt hatte. Oder dass sie womöglich zu arm war, um ein besseres zu bekommen.
Schon bevor sie das Mädchen eingestellt hatte, konnte er sich nicht erinnern, seine Mutter jemals ohne diesen Ärger betrachtet zu haben. Wie Feuer fühlte er sich an, das die Kehle hochkroch – ganz anders als das Brennen, wenn er Schnaps trank. Mit Schnaps konnte man alles kurzfristig betäuben – die Verbitterung, den Neid, die Unzufriedenheit. Doch der Hass auf seine Mutter ließ all das nur noch glühender auflodern. Manchmal hatte er das Gefühl, es gäbe nur ein winzig kleines Fleckchen, wo ihm das Leben halbwegs erträglich war, ein Fleckchen, an dessen Rändern die Misere lauerte und das in Agustinas Nähe auf einen winzigen Punkt schrumpfte.
Nun, Agustina war nicht hier, und das bedeutete, dass er etwas befreiter Atem schöpfen konnte.
Jerónimo trat auf ihn zu.
Manchmal fühlte er sich diesem verwandt und glaubte, ähnlichen Hass in ihm zu wittern, der sein Leben vergiftete. Manchmal war er ihm fremd, weil er nie so missmutig, so unzufrieden wirkte wie er, vielmehr stets ein schales Lächeln auf den Lippen trug.
Gestern Abend war ihm dieses Lächeln gründlich vergangen. Dieser Arthur Hoffmann hatte auf sie geschossen und Jerónimo sich noch Stunden später geärgert, weil er nicht nur seine Pistole verloren hatte, sondern Esteban einfach davongelaufen war. Der schämte sich selbst unendlich dafür, doch immerhin hatte ihm der Zufall heute die Möglichkeit zugespielt, sich für diese Schmach zu rächen. Er war dem Mädchen hier im Hafen über den Weg gelaufen, und ehe er ihm eine Maulschelle verpasst hatte, weil es nicht arbeitete, sondern sich hier herumtrieb, hatte es sich schon gerechtfertigt, dass Agustina sie hierhergeschickt hatte oder genauer gesagt: Emilia. Und zwar mit einer Botschaft an Arthur Hoffmann.
Noch war Jerónimos Gesicht grimmig, doch als Esteban ihm erzählte, welchen Befehl er dem Mädchen gegeben hatte, lachte er schallend los.
Esteban rieb befriedigt die Hände aneinander. »Ich weiß nicht, was das Mannweib und der Deutsche miteinander zu schaffen haben. Aber offenbar glaubt der blonde Tölpel, die Weiber beschützen zu müssen. Pah! Der soll nie wieder mit einer Pistole vor meiner Nase rumfuchteln! Der soll ein für alle Mal aus Punta Arenas verschwinden!«
»Gar keine so schlechte Idee«, setzte Jerónimo lobend an.
»Warte!«, unterbrach Esteban ihn.
Eben entfernte sich dieses dumme Huhn von Arthur Hoffmann und bewegte sich wieder in Richtung Herberge. Er stürzte auf das Mädchen zu und stellte sich ihm in den Weg. »Und?«, fragte er begierig. »Hast du ihm alles ausgerichtet?«
Das Mädchen wagte nicht, ihm in die Augen zu sehen. Gut so. Er hasste es, wenn man ihn aufdringlich anstarrte, vor allem, wenn es ein verfluchtes Frauenzimmer tat. »Hab gesagt, was Sie wollten«, antwortete das Mädchen.
»Und du weißt, was du jetzt zu tun hast?«
Er hörte Jerónimo leise hinter sich kichern – ein Zeichen, dass Esteban sein gestriges Versagen tatsächlich hatte ausbügeln können.
»Ja«, nickte das Mädchen. »Ich gehe jetzt zu Emilia.«
»Und weißt du noch, was du ihr sagen sollst?«
»Ich soll ihr doch gar nichts sagen.«
Esteban verdrehte ungeduldig die Augen. »Natürlich musst du ihr etwas sagen!«
»Aber Sie haben mir doch befohlen …«
»Du sollst ihr nichts von Arthur sagen! Lediglich beschwören, dass du ihn am Hafen nicht gefunden hast. Und dass man dir erzählt hätte, er wäre schon längst auf sein Schiff gegangen.«
Das Mädchen nickte nachdenklich. Esteban war sich nicht sicher, ob es alles verstanden hatte, und war kurz geneigt, es rüde zu beschimpfen, aber dann fiel ihm ein Rat von Jerónimo ein: dass man mit Schmeicheleien oft viel weiter käme als mit Strenge. Bei Rita hatte er bewiesen, dass dies tatsächlich ein brauchbarer Weg war.
»Du wirst es schon richtig machen«, meinte er aufmunternd.
Jetzt wagte dieses dumme Huhn, ihn doch noch anzublicken, gar, scheu zu lächeln!
Er unterdrückte seinen Grimm, nickte ihr zu und sah, wie es in der Menge entschwand.
Wieder kicherte Jerónimo. »Ich würde sagen, der Deutsche kommt uns nicht mehr in die Quere.« Sein Grinsen verflüchtigte sich. »Und das bedeutet, dass wir nun endlich an den Weibern Rache nehmen können.«
Esteban nickte verdrossen. »Und ich habe auch schon eine Idee«, sagte er schnell.
Die ganze Nacht hatte er darüber nachgedacht, wie er den
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