Jenseits von Feuerland: Roman
ein schlechtes Gewissen zu haben, musste Rita plötzlich lächeln. Es war nahezu unmöglich, Emilia von den Schafen abzulenken – aber offenbar war ihr das nach langer Zeit endlich wieder einmal gelungen.
»Warum, zum Teufel, hast du ihn bloß eingeladen, auf die Estancia zu kommen?«
Emilia funkelte Rita wütend an. Bis eben hatte sie sich noch beherrschen können und die Lippen trotzig aufeinandergepresst, denn vor Balthasar wollte sie sich keine Blöße geben und eingestehen, wie sehr Rita sie überrumpelt hatte, doch kaum war der aus ihrer Hörweite verschwunden, brach die Frage aus ihr hervor.
Schlimm genug, dass Rita Balthasar überhaupt ihre Estancia zeigen wollte! Obendrein hatte der mit seinem Besuch nicht warten wollen, sondern verkündet, dass er noch heute mit ihnen aufbrechen könnte – was Rita sogar mit einem begeisterten Nicken quittiert hatte!
»Also, warum hast du ihn eingeladen?«
»Weil er ein alter Freund ist«, erklärte Rita knapp. »Willst du mir etwa verbieten, mit ihm zu reden?«
»Reden kannst du mit ihm, soviel du willst, aber du musst ihm nicht gleich Tür und Hof öffnen.« Emilia schüttelte den Kopf umso entrüsteter, als Rita kurz auflachte.
»Warum eigentlich nicht?«, fragte sie. »Ich dachte, dass du lediglich Arthur zürnst – doch nicht Balthasar.«
»Ich zürne Arthur nicht«, erklärte Emilia störrisch. »Ich will nur nicht seinen Namen hören.«
»Kein Mensch redet hier von Arthur. Ich habe nicht ihn, sondern Balthasar eingeladen.«
Emilias Blick verdunkelte sich noch mehr. »Dennoch, wo er ist – ist Arthur nicht weit.«
»Also, Arthur ist …«
»Sprich nicht weiter!«, unterbrach Emilia sie streng. »Ich will es gar nicht wissen!«
»Also gut«, räumte Rita vermeintlich ernsthaft ein, obwohl Emilia ihr Schmunzeln nicht entging. »Ich spreche nicht über Arthur, vorausgesetzt, dass du Balthasar höflich behandelst.«
»Wenn das so ist, muss ich mir wohl Mühe geben«, zischte Emilia zwischen zusammengepressten Lippen.
Aurelia kicherte, und dieser unschuldige Ton machte es für Emilia nicht leichter, ihren Zorn zu drosseln. Balthasar hatte das Vertrauen des Kindes so schnell gewonnen! Als sie vorhin fassungslos auf ihn gestarrt hatte und sämtlicher Triumph über die gekauften Schafböcke verschwunden war, hatte die Kleine so begeistert berichtet, wie gut Balthasar zeichnen konnte, als wäre er ein alter Bekannter. Obwohl das nichts Verwerfliches war, konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihm das nicht zustand – nicht, da er doch Arthurs Freund war!
Nun gut, auch sie selbst war bei seinem Anblick kurz aufgeregt, nahezu nostalgisch gewesen. Nicht die traurigen Erinnerungen waren in ihr hochgestiegen, sondern die ungemein lustige an den Tag, wie Balthasar und sie nach Arthurs Bad im Tümpel gemeinsam über ihn gespottet hatten. Aber dann hatte Rita sie mit dieser absurden Einladung überrumpelt. Für gewöhnlich war sie es, die alles plante und entschied, doch nun lag es zwar in ihrer Macht, das Zeichen zum Aufbruch zu geben, nicht aber zu bestimmen, wer sich ihnen anschließen würde.
Im Frühling und Sommer reisten sie nicht mit einer Schaluppe nach Punta Arenas, sondern über Land – mit einem Tross aus mehreren Packpferden und Männern, die dann und wann für sie arbeiteten. Die meisten hatte Pedro ihnen vermittelt, und ein Großteil war tüchtig. Nur hin und wieder galt es mit ähnlichen Prahlhänsen fertig zu werden, wie er einer war – Männern, die mit ihren Worten weitaus flinker waren als mit ihren Händen.
Nachdem sie Punta Arenas hinter sich gelassen hatten, kamen sie gut voran, doch der Anflug an Zufriedenheit darüber währte nicht lange, als Balthasar zu ihr aufschloss. Sie hatte sich bei Rita beschwert, dass er wegen seines Beines unmöglich mit ihnen mithalten könnte, sie darum alle aufhalten würde und Zeit ein kostbares Gut war, das es nicht zu verschenken galt. Ganz offensichtlich hatte sie falschgelegen, und dass sie ihm nichts vorwerfen konnte, ließ Rita triumphierend lächeln – und verärgerte sie selbst noch mehr.
»Was für ein schönes Land!«, schwärmte Balthasar. »Solch Größe und Wucht und Weite gibt es sonst nur auf dem Meer.«
»Warte nur, bis ein Sandsturm aufzieht«, knurrte Emilia. »Dann prasseln kleine Steine in dein Gesicht wie Fäuste.«
Balthasar hörte nicht auf sie. »Und diese Bäume! Wie geduckte Menschen sehen sie aus.«
»Ach was! Das sind einfach nur knorrige
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