Jenseits von Feuerland: Roman
Chacaybäume. Sie spenden kaum Schatten, und wenn man nicht wenigstens Zäune aus ihrem Holz machen könnte, hätten sie gar keinen Nutzen. Und die Calafatebäume erst! Wenn du unter einem solchen ruhst, ist dein Gesicht hinterher voller Stacheln.«
Wieder ging Balthasar nicht auf ihre Worte ein. »Nur ein Blinder würde meinen, hier sehe alles gleich aus. Das mag auf den ersten Blick so scheinen, aber wenn man das Land genau betrachtet … Die Wiesen sind mal sumpfig feucht, mal trocken. Das Gras wächst oft niedrig, dann wieder buschig wie Kraut. Die Sträucher treiben Dornen und zugleich so prächtige Blüten.«
»Von unserer Estancia aus«, rief Rita dazwischen, »kann man in der Ferne die Berge sehen. Und es gibt ein kleines Flusstal gleich in der Nähe. Das Gras wächst dort saftig grün, und die Calafaten sind viel größer als hier.«
Emilia runzelte die Stirn. Seit wann interessierte sich Rita für die Calafaten rund um ihre Estancia?
Trotz der lästigen Stacheln gehörten sie immerhin zu den Pflanzen der Pampa, die Früchte trugen: kleine, hartschalige Beeren, die ein wenig wie Blaubeeren schmeckten, nur säuerlicher.
»Dieser Strauch dort«, meinte nun Aurelia, »heißt Polsterpflanze – weil er das Land bedeckt wie ein Kopfkissen.«
Emilias Stirnfalte wurde noch tiefer. Scheinbar waren alle über den unerwarteten Begleiter glücklich – nur sie nicht.
»Und die vielen Vögel!«, rief Balthasar. »Wildgänse, Flamingos, Sittiche, Kolibris.«
»Manchmal sieht man auch Kondore kreisen«, warf Rita ein.
»Der Kondor frisst tote Tiere, wusstest du das?«, fragte Aurelia mit deutlicher Faszination.
»Pah!«, machte Emilia. »Als ich mit Arthur einst durch die Pampa geritten bin, hat er auch wortreich die Vogelschar bewundert. Wenig später tauchte er halbnackt in einem dreckigen Tümpel.«
Bei der Erinnerung daran konnte sie sich ein Lachen nicht verkneifen. Auch Balthasar grinste, während Aurelia fragte, wer Arthur sei. Rita hingegen blickte sie verwundert an. »Eben hieß es noch, man dürfe Arthurs Namen in deiner Gegenwart nicht aussprechen.«
Emilia biss sich auf die Lippen, um die Wut zu verbergen, dass es ausgerechnet die eigene Gedankenlosigkeit war, die sie in die Enge trieb. »Darf man auch nicht«, sagte sie herrisch.
Dann gab sie dem Pferd die Sporen, um vorauszureiten und mit niemandem mehr sprechen zu müssen.
Als sie auf der Estancia ankamen, trat Ana ihnen entgegen und verkündete, gerade frischen Mate-Tee aufgesetzt zu haben. Als ihr Blick auf Balthasar fiel, wurde er kurz misstrauisch, doch kaum erkannte sie ihn, musste sie lächeln. »Der hässlichste Mann Hamburgs!«, rief sie aus.
Balthasar nickte und gab sich geschmeichelt, als hätte sie ihm ein Kompliment gemacht. »Schön, dass du dich an mich erinnern kannst! Umgekehrt fällt mir natürlich kein Satz ein, in dem das Wort hässlich und dein Name gleichzeitig fallen könnten. Du siehst … gut aus – und das ist eine Untertreibung.«
Emilia verdrehte ungeduldig die Augen. »Ich dachte, Arthur sei der Charmeur, nicht du.« Sie biss sich auf die Lippen, weil sie schon wieder seinen Namen ausgesprochen hatte.
»Ich sage nur die Wahrheit«, meinte Balthasar, »und ich würde dich gerne zeichnen, Ana.«
Abermals verdrehte Emilia die Augen – wobei sie ihm insgeheim recht geben musste: Ana war in den letzten Jahren trotz der harten Arbeit aufgeblüht. Ihr Leib war immer noch sehnig und dürr, aber die blasse Haut von der Sonne gebräunt, das Lächeln befreiter, der Ausdruck in den blauen Augen weicher.
»Aber du hast doch gesagt, dass du ein Bild von mir malst!«, rief Aurelia dazwischen.
»Gemach, gemach«, beschwichtigte Rita sie. »Bevor Balthasar irgendetwas zeichnet, müssen wir ihm doch erst die Estancia zeigen.«
»Ich will das tun!«, bot Aurelia sich eifrig an, ehe sie sich mit ernstem Gesicht an Balthasar wandte. »Also …«, begann sie und vollführte eine einladende Bewegung. »Hier stehen wir auf dem Hofplatz, den nennt man Patio. Dort hinten ist das Haus, in dem wir wohnen, daneben das Haus, in dem wir waschen, und dann kommt der Pferdestall, der Räucherschuppen und das Haus, in dem die Knechte schlafen, wenn sie zur Schur kommen.«
Bei jedem Wort nickte sie bekräftigend. Emilia wusste, dass Aurelia großen Respekt vor besagten Schafscherern hatte. Stets hielt sie Abstand zu ihnen, wobei das nicht bedeutete, dass sie diese nicht aufmerksam beobachtete und ganz genau wusste, was sie
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