Jenseits von Feuerland: Roman
taten.
»Und weiter hinten, aber den sieht man von hier nicht, ist der Geflügelstall.«
Balthasar war kaum mit dem Schauen nachgekommen.
Voller Anerkennung hatte er das Haupthaus gemustert – aus Holz errichtet und mit einem Schindeldach bedeckt, ein Stockwerk hoch und mit einer Mansarde versehen. Rot wie das Dach war auch das Gatter, das die Schafkoppel abgrenzte, denn es hieß, dass diese Farbe die gefräßigen Guanakos davon abhalten würde, sie niederzutrampeln.
»Geflügelstall?«, fragte er nun verwundert. »Ich dachte, ihr würdet Schafe züchten.«
»Aber genau deswegen braucht man doch Enten!«, rief Aurelia ungeduldig. »Weil sonst das Gras nicht ordentlich wächst!«
Bis jetzt war ihr Blick stets sehr respektvoll auf Balthasar gerichtet gewesen, nun wurde er etwas herablassend, weil er die selbstverständlichsten Dinge nicht wusste.
Er hob entschuldigend die Arme, woraufhin Rita ihm zu Hilfe kam. »Wie soll er denn das wissen?«, fragte sie und erklärte schnell: »Enten drehen den Schafkot auf der Suche nach Weichtieren um, und auf diese Weise wird er regelmäßig verstreut und lagert nicht an einer Stelle ab, die die Schafe dann meiden würden. Im Übrigen halten wir nicht nur Enten, sondern auch ein paar Rinder.«
Zum wiederholten Mal verdrehte Emilia die Augen und dachte sich: Seit wann interessierte sich Rita für solche Dinge?
Aber deren Eifer schien keine Grenzen zu kennen – eben zeigten sie und Aurelia gleichzeitig auf die Trockenkoppel, wo die Schafe inmitten eines Meers von Margeriten grasten. Daneben war der Schurpferch, in dem die dicken Wollballen gelagert wurden. Und dahinter, wenngleich kaum zu erkennen, lag ein kleines Magnolienwäldchen, über das häufig Papageien kreisten. Dieses gehörte zwar nicht zum Besitz der Estancia, aber Aurelia und Rita führten es dennoch stolz vor.
»Und was ihr für einen üppigen Garten habt!«, stellte Balthasar fest und deutete auf die Fläche vor dem Haus.
»Mittlerweile können wir uns gut davon ernähren«, erklärte Rita. »Wir bauen Kohl, Steckrüben und Kartoffeln, Rote Bete und Rhabarber an – und wir haben herausgefunden, dass Champignons hervorragend auf dem Schafmist wachsen.«
Nicht wir, dachte Emilia grimmig, sondern ich.
Sie konnte ihre schlechte Laune einfach nicht abschütteln, obwohl sie nicht genau wusste, woher diese rührte. Immerhin hatten sie einen neuen Schafbock gekauft, obendrein einen von den Falklandinseln!
»Wie viele Estancias gibt es in dieser Gegend?«, fragte Balthasar.
»Immer mehr«, erklärte Rita, »wobei manche keine wirklichen Farmen sind, eher Schafstationen. Die Schafe werden frei in der Steppe gehalten und von berittenen Hirten beaufsichtigt. Und dann gibt es natürlich viele Engländer, die hier ihre großen Betriebe errichtet haben. Sie haben am liebsten schottische Aufseher – zur Zeit der Schafschur stellen wir auch immer einen an.«
»Die sprechen ganz merkwürdig«, warf Aurelia ein. »Aber sie haben die besten Hunde! Sie gehorchen aufs Wort … ihnen zumindest. Uns nicht.«
»Vielleicht müsst ihr mit ihnen schottisch reden«, schlug Balthasar grinsend vor.
»Vielleicht«, erwiderte Rita und lächelte ebenfalls.
Emilia traute ihren Augen nicht. Rita zeigte doch sonst so große Furcht vor allen Männern, verkrampfte sich, wenn einer auch nur in ihre Nähe kam – und Balthasar lächelte sie nun sogar an? Sie wusste, sie sollte froh darüber sein und ihr diese Leichtigkeit von Herzen gönnen, aber sie konnte es einfach nicht. Rita, Ana und Aurelia – das war doch ihre Familie, während Balthasar zu Arthur gehörte!
»Wollt ihr noch ewig hier herumstehen und plaudern oder können wir endlich ins Haus gehen und Mate-Tee trinken?«, fragte sie ärgerlich.
»Gewiss!«, rief Aurelia strahlend. »Wir müssen dir noch zeigen, wie wir wohnen.«
Sie trat vor und nahm Balthasars Hand, um ihn ins Haus zu ziehen. Wieder traute Emilia ihren Augen nicht. Für gewöhnlich mied Aurelia, ähnlich wie ihre Mutter, jede Berührung. Auch wenn Rita ihr Kind angenommen hatte – eine zärtliche Mutter, die es ständig liebkoste und streichelte, war sie keinesfalls, und von Ana und ihr selbst hatte Aurelia vor allem gelernt, wie man auf Abstand ging, nicht, wie man Nähe suchte. Doch dass sie nun Balthasars Hand hielt, schien ihr ganz selbstverständlich.
»Bevor wir reingehen, nehmen wir Wasser mit!«, sagte Emilia streng.
Sie hatten weder eine Wasserleitung noch eine Pumpe, sondern mussten das
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