Jenseits von Feuerland: Roman
sonderlich großen Wert. Es wäre für Esteban ein Leichtes zu behaupten, dass die Frauen den Besitz Agustina unrechtmäßig abgeschwatzt hatten – zumal sie nie etwas dafür bezahlt hatten. Emilia hatte zwar immer wieder versucht, Agustina Geld zukommen zu lassen, weil sie ihr nichts schuldig bleiben wollte, doch Agustina hatte stets abgelehnt und darauf verwiesen, dass die Estancia eine – wenn auch nur geringe – Entschädigung für das sei, was Esteban ihnen angetan hatte.
Doch auch wenn Agustina es so sah – Esteban würde es bestimmt nicht so sehen.
Noch ehe sie das Haupthaus erreichten, vernahm Rita klar und deutlich seine Stimme. Obwohl sie sich dagegen gewappnet hatte, war ihr diese noch unerträglicher als sein Anblick.
Rothaut … hatte diese Stimme sie geheißen … Indianerhure … Ihr Zittern verstärkte sich, woraufhin Balthasar sie noch fester an sich zog. Mühsam konnte sie so wenigstens Schritt vor Schritt setzen – hochsehen konnte sie jedoch nicht.
Längst forderten die Männer nicht mehr die Herausgabe von Schafdieben. Vielmehr stellte Esteban die Frage, die Emilia wohl am meisten gefürchtet hatte: »Woher habt ihr überhaupt dieses Land?«
Rita hatte keine Ahnung, woher Emilia die Kraft dazu nahm, aber als sie antwortete, zeigte sie keine Scheu und Furcht, nur tiefen Groll: »Hau ab, Esteban Ayarza! Du hast hier nichts verloren!«
»Ich gehe nicht, ehe ich nicht weiß, woher du das Land hast! Deine Herberge ist abgebrannt. Unmöglich, dass du so schnell zu Geld gekommen bist, um es zu kaufen!«
Rita biss sich auf die Lippe. Wenn sie bis dahin geglaubt hatte, diesen Tonfall nicht länger ertragen zu können, wurde sie nun belehrt, dass es noch schlimmer werden konnte. Jerónimo schaltete sich ein – der schöne Jerónimo mit der samtigen Stimme, Jerónimo, der gesagt hatte, er würde sie lieben und heiraten wollen, Jerónimo, den sie aus ganzem Herzen hasste – und den sie noch mehr fürchtete.
»Stammt deine Mutter nicht von einem der frühen Siedler ab?«, fragte er Esteban.
Erstmals wagte Rita ihren Blick zu heben und in Estebans Gesicht zu sehen. Er hatte wegen der blassen Haut und der Narbe, die sie ihm zugefügt hatte, immer etwas kränklich gewirkt, und dieser Eindruck wurde nun von einem aufgedunsenen Leib verstärkt. Schlaff und grau hing die Haut unter seinem Kinn. Er schien sich seit Ewigkeiten nicht mehr rasiert zu haben, und unter dem zotteligen Bart traten an mancher Stelle rote Geschwüre, die Würmer glichen, hervor. Das Haar hing strähnig wie eh und je über seine Augen, doch am Hinterkopf war es schütter geworden und gab eine kreisrunde Stelle der Kopfhaut frei. Langsam schien ihm aufzugehen, was Jerónimos Worte verhießen, doch ehe sich ein wütendes Knurren aus seiner Kehle entlud, sagte dieser raunend: »Ach, und sieh an! Auch unsere kleine Rothaut ist hier!«
Ritas Blick traf seine graublauen Augen. Wie hatte sie diese Augen nur jemals als warm befinden und darin versinken können? Wie hatte sie übersehen konnte, dass sie hart und kalt wie Stein waren?
Ihr Zittern verstärkte sich, und alles in ihr drängte, rasch den Blick zu senken, gar davonzulaufen, aber dann dachte sie an Balthasars Worte: Sie riechen die Angst wie hungrige Löwen das Blut.
Nein, entschied sie plötzlich, diesen Triumph soll er nicht haben!
Sie versteifte sich, spürte, wie Balthasar aufmunternd ihre Hand drückte, und trotzte Jerónimos Blick.
»Das ist gar nicht euer Land«, stellte Esteban grimmig fest, »das ist das Land meiner Mutter.«
Rita sah, wie Emilias Kiefer aufeinanderrieben. Doch nicht sie, sondern Ana war es, die vortrat. »Sie hat es uns geschenkt. Also ist es jetzt unseres. Und glaub mir, du Bastard, wir werden unseren Besitz verteidigen.«
Erst jetzt sah Rita, was sie in ihren Händen hielt, und entspannte sich etwas. Sie hatte ein Gewehr bei sich – und offenbar war es genau das, was Esteban bis jetzt davon abgehalten hatte, sich auf die beiden Frauen zu stürzen. Auch die anderen Männer, die ihn und Jerónimo begleiteten, blieben auf Distanz. Gemurmel regte sich unter ihnen. »Wir sind hier, um Indianer zu jagen – keine Frauen«, schaltete sich einer ein.
In Estebans Kopf schien es zu arbeiten. Unruhig fuhr seine Hand zu einer Pistole, die er an seinem Gürtel trug. Gewiss hätte er sie gerne gezogen, hätte den Kampf mit den verhassten Frauen aufgenommen, aber Jerónimos kalter Blick schien ihn zu mäßigen, und bevor er noch etwas sagen
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