Jenseits von Feuerland: Roman
oder tun konnte, öffnete sich die Haustür, und es ertönten trippelnde Schritte. Don Andrea war sichtlich blass im Türrahmen erschienen, und an ihm vorbei drängte sich eine kleine Gestalt ins Freie und lief auf Rita zu.
»Mama, Mama! Was ist geschehen?«
Bis zu diesem Augenblick hatte Rita geglaubt, sie könne sich nie wieder bewegen, gar einen Schritt gehen, wenn nicht Balthasar an ihrer Seite war und sie stützte. Doch als sie Aurelia sah, löste sie sich abrupt von ihm, stürzte auf das Kind zu und zog es an sich. Oft war es ihr unangenehm, die Tochter so zu halten und ihren Körper zu spüren. Doch jetzt hätte sie sich am liebsten jedes Fetzchen Haut vom Leib gerissen, um Aurelia zu schützen – vor Estebans wütendem Blick und Jerónimos spöttischem.
»Sieh an«, meinte der grinsend. »Das Indianerbalg. Wollen wir Wetten abschließen, wer von uns beiden den Bankert gezeugt hat? Allerdings – wer kann das schon jemals entscheiden?«
In jedem anderen Augenblick hätte Esteban mit ihm gespottet, doch sein Blick blieb nur kurz auf Aurelia gerichtet, wandte sich stattdessen wieder Emilia zu. »Du hast sie gestohlen!«, zischte er. »Du hast mir mein Land und meine Estancia gestohlen!«
»Haut ab!« Diesmal war es nicht Ana, die den Männern den entschlossenen Befehl entgegenschleuderte, sondern Balthasar. »Ihr habt hier nichts verloren! Und wir sind allesamt bewaffnet!«
Ana hob abermals drohend das Gewehr. Die Männer hinter Jerónimo und Esteban murrten.
»Wie gesagt: Wir sollen Rothäute töten, keine Frauen.«
Esteban schien zu einer wütenden Entgegnung ansetzen zu wollen, aber Jerónimo hob beschwichtigend die Hand.
»Er hat recht«, erklärte er einlenkend. »Am besten, wir verschwinden.« Er machte eine kunstvolle Pause, ehe er weiterhin grinsend hinzufügte: »Zumindest für heute Nacht.«
Rita umklammerte Aurelia noch fester – ungeachtet der wütenden Proteste ihre Tochter, die behauptete, gleich ersticken zu müssen. Sie versenkte ihr Gesicht in Aurelias Haar, presste die Augen zusammen. Nach schieren Ewigkeiten hörte sie das Getrampel von Hufen, die Männer schienen tatsächlich wegzureiten.
Doch keinen Augenblick erlag sie der Versuchung zu glauben, dass die Gefahr damit ausgestanden war.
»Wenn ihr denkt, dass ihr mich so einfach vertreiben könnt, habt ihr euch geirrt«, rief Esteban ihnen prompt über die Schultern zu. »Ihr werdet für das Land zahlen! Ihr werdet mich bezahlen! Und wenn nicht, werdet ihr keinen einzigen friedlichen Tag mehr erleben.«
Als die Reiter in der tiefschwarzen Nacht verschwanden, ließ Ana das Gewehr sinken.
»Sie werden wiederkommen«, sagte Emilia, und Rita hörte, wie ihre Stimme nun doch zitterte, »ich bin mir sicher: Schon morgen kommen sie wieder.«
24. Kapitel
E inige Tage später befanden sie sich förmlich in einem Belagerungszustand.
Nur schleichend hatte er begonnen. Immer wieder waren sie vom Hufgetrampel an der Grundstücksgrenze aufgeschreckt worden, um entweder Esteban oder Jerónimo, mal allein oder in Begleitung von Männern, entlangreiten zu sehen. Nie überwanden sie einen der langen Zäune, und kein zweites Mal betraten sie den Patio – doch man konnte ihr herausforderndes Lachen hören und alsbald ihre Taktik verstehen: Zum einen wollten sie die Frauen zermürben, zum anderen prüfen, wie viele Menschen tatsächlich auf der Farm lebten, wie viele Männer darunter waren und wie viele Waffen sie besaßen.
Emilia gab sich kampfeslustig, hätte sich jedoch manches Mal am liebsten der Verzweiflung hingegeben wie Rita. Nach außen hin hielt diese sich zwar gut und verkniff es sich, zu weinen und zu klagen, aber in unbeobachteten Momenten hockte sie mit starrem, bleichem Gesicht da, blickte ins Leere und schien sich ganz und gar der Macht dunkelster Erinnerungen anheimzugeben. Sie verbat Aurelia, ins Freie zu gehen, und als das Kind daraufhin jammerte, fuhr sie es so schroff und kalt an, dass Emilia sie kaum wiedererkannte. Während Aurelia regelrecht darum bettelte, brachte Don Andrea nichts und niemand dazu, das Haupthaus zu verlassen. Er weigerte sich, in die Mission zurückzukehren, und wenn er auch vorgab, er könne gute Nachbarn nicht im Stich lassen, wusste Emilia, dass ihn in Wahrheit allein die Angst hier hielt. Schon mancher Missionar wäre gemeinsam mit Indianern niedergemetzelt worden, erzählte er, und er war sich sicher, dass ihm das Gleiche blühe, gab er die Sicherheit des Hauses auf.
Leider war die Angst
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