Jenseits von Feuerland: Roman
überrascht eine Braue.
»Er meint: Sie rede nie mit zwei Zungen«, übersetzte Don Andrea. »Sie lügen nicht.«
Er war sichtlich stolz auf sein Wissen, und kurz hob er so eitel, wie sich sonst nur Pedro el Ballenero gebarte, den Kopf, doch alsbald schlotterte er wieder vor Furcht.
Wenn er wenigstens eine kleine Hilfe wäre, da wir ihn doch durchfüttern!, ging es Emilia durch den Kopf. Ach, und wenn Pedro nur bald mit ein paar seiner Männer zurückkehren würde!
Jeden Tag hielt sie Ausschau nach ihm, doch die einzigen Männer, die wie hungrige Aasgeier um die Estancia kreisten, waren Esteban, Jerónimo und ihre Begleiter.
Emilia war gewiss, was sie planten: Wenn sie erst genügend über die Bewohner der Estancia herausgefunden hatten, würden sie den Überfall wagen und sie alle töten – die Frauen wahrscheinlich erst dann, nachdem sie sich ausreichend mit ihnen amüsiert hatten. Folgen hatten sie wohl keine zu befürchten, denn hier draußen in der Wildnis würde der Vorfall nahezu unbemerkt bleiben. Wären Engländer betroffen, so würden Nachbarn zu Hilfe eilen, und wenn sie Spanier wären, vielleicht auch. Doch sie wurden von den anderen Estancieros ohnehin misstrauisch beäugt – nicht nur, weil sie Fremde waren, sondern obendrein Frauen. Wenn sie also überleben wollten, mussten sie sich selbst schützen.
Als erste Maßnahme, so entschied sie, musste sie lernen, besser mit dem Gewehr umzugehen. Bis jetzt hatte sie nie gedacht, dass sie mit dieser Waffe eines Tages auf Menschen schießen müsste – nun richtete sie im Garten kleine Steinberge auf und zielte darauf.
Wortlos tat es ihr Ana gleich und traf ohne Mühen. Emilias Hände jedoch zitterten plötzlich so stark, dass alle Steine stehen blieben. Sie fluchte laut, verstummte jedoch augenblicklich, als eine Stimme hinter ihr ertönte und verkündete: »Ich … ich will es auch versuchen.«
Sie fuhr herum und traute ihren Augen nicht: Rita hatte sich erstmals aus der Starre gelöst und war ins Freie getreten. Sie wirkte noch kleiner und zarter als sonst.
»Du willst schießen?«, fragte Emilia verwirrt. Don Andrea wollte sie schon die ganze Zeit zur Waffe drängen – bei Rita wäre sie nie auf die Idee gekommen, es auch nur zu versuchen. Doch diese nahm ihr schweigend das Gewehr aus der Hand. Kurz zitterten ihre Hände so stark wie die von Emilia, und diese dachte schon, Rita wäre viel zu schwach, die Waffe zu halten, aber dann hob sie sie ohne Schwierigkeiten hoch. Ihre Augen waren schwarz und leer – nicht vor Grauen, sondern vor tiefster Konzentration.
Im nächsten Augenblick ertönte ein Schuss – und alle Steine lagen auf dem Boden.
»Das glaube ich ja nicht!«, stieß Emilia aus – halb bewundernd, halb neidisch, weil sie selbst versagt hatte.
Ana grinste, Maril, der von den Schüssen ins Freie gelockt worden war, nickte anerkennend.
»Ich bring sie um.« Ritas Stimme war nicht lauter als ein Hauch. »Wenn sie mir oder meinem Kind etwas antun wollen, dann bringe ich sie um.«
Auch Don Andrea lugte aus dem Fenster und schüttelte verzweifelt den Kopf. »Wer die Gewalt sucht, wird darin umkommen«, klagte er.
»Pah!«, machte Emilia. »Auch einige Missionare haben die Indianer lieber getötet, als sie zu bekehren.«
Als sie nach den Schießübungen wieder ins Hau zurückkehrten, blickte sich Emilia suchend nach Balthasar um. Eigentlich hatte sie erwartet, dass auch er sich an den Übungen beteiligen würde, sich dann jedoch, als er nicht aufgetaucht war, gedacht, dass er bei Aurelia bleiben wollte. Doch Aurelia saß ganz alleine in der Wohnstube. Vor ihr aufgeschlagen lag Balthasars Skizzenblock, und erstmals versuchte sie, selbst mit dem Kohlestift etwas zu zeichnen.
»Wo ist Balthasar?«, fragte Emilia.
Auch Rita schien besorgt. »Ja«, bekräftigte sie, »wo ist er?«
»Fort«, meine Aurelia knapp.
»Wie – fort? Wollte er nach den … Männern Ausschau halten?« Seit einigen Stunden hatten Emilia nichts von Esteban und Jerónimo gesehen, aber sie traute dem Frieden nicht, hielt ihn eher für die Ruhe vor dem Sturm.
»Nein«, sagte Aurelia gleichmütig. »Er ist ganz fort. Mit dem Pferd.« Sie deutete in Richtung Westen.
Ana schien eher als die anderen zu begreifen, was die Worte bedeuteten. »Was für ein Narr, ausgerechnet jetzt fliehen zu wollen!«, schimpfte sie. »Wenn sie ihn abfangen, ist er so gut wie tot.«
Rita hatte keine Ähnlichkeiten mehr mit der Frau, die eben zielgenau geschossen hatte. Blass
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