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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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eine sah mürrisch drein, der andere grinste schmallippig. Als sich ihre Blicke trafen, konnte sie Ritas Furcht nachfühlen, denn unwillkürlich griff auch sie schutzsuchend nach Anas Hand. Die beiden Männer waren Esteban Ayarza und Jerónimo Callisto.
    »Wir dachten, wir sind gründlich«, sagte der Mann, mit dem sie zuvor gesprochen hatte, »und fragen lieber noch einmal nach, ob ihr nicht doch ein paar Schafdiebe gesehen habt.«

    Rita hatte das Gefühl, in einem dunklen Traum gefangen zu sein. Sie hörte Balthasars beruhigende Stimme von weit her, aber seine Worte drangen nicht zu ihr durch. Sie spürte, dass er ihre Hand hielt, aber es war ihr kein Trost. Nichts war ihr Trost, nun, da sie glaubte, tiefer, immer tiefer zu fallen, bis sie im dunkelsten Seelenkerker angekommen war. Schonungslos prasselten die Erinnerungen an die schlimmste Zeit ihres Lebens auf sie ein.
    Esteban und Jerónimo.
    Wie aus dem Nichts waren sie auf der Estancia aufgetaucht.
    Sie war sich nicht sicher, ob die beiden sie bereits entdeckt hatten – in jedem Fall hatte Rita sie sofort erkannt.
    »Beruhige dich!«, rief Balthasar immer wieder. »Bitte beruhige dich! Sie können dir nichts antun.«
    »Aber warum sind sie bloß hier?«, fragte Rita verzweifelt.
    Die Antwort kam aus unerwarteter Richtung. »Weil sie … mich suchen.«
    Aus dem Schuppen trat eine dunkle Gestalt. Für gewöhnlich hätte Rita vor Schreck aufgeschrien, aber sie blieb stumm. Alles Entsetzen war schon verbraucht, als sie vorhin in Jerónimos und Estebans Gesichter gesehen hatte.
    »Sie sind meinetwegen hier«, sagte der größte Mann, den Rita jemals gesehen hatte.
    In Ritas Ohren rauschte es. Nur undeutlich hörte sie, wie Balthasar nach dem Namen des Mannes fragte und dieser antwortete. Er hieße Maril, sagte er.
    Aber was zählte schon sein Name?, ging es Rita durch den Kopf.
    Jerónimo und Esteban würden ihn schlicht und einfach als Rothaut beschimpfen. So wie sie sie als Indianerhure bezeichnet und ihre Lüge enttarnt hatten, Spanierin zu sein.
    »Viele junge Männer, die kein Geld haben, schließen sich zu Banden zusammen«, hörte sie Maril erklären. »Ihr Ziel ist es, möglichst viele Indianer zu töten und ein Kopfgeld zu kassieren.«
    »Ein Kopfgeld?«, fragte Balthasar verwirrt.
    »Es hat in Argentinien begonnen. Vor zehn Jahren hat General Roca zum Wüstenkrieg aufgerufen. Ihm ging es darum, so viele meiner Brüder wie nur möglich zu vertreiben oder auszurotten. Alle Soldaten, die an dem Feldzug teilnahmen, bekamen ein Zertifikat über viele Hektar Land und ließen sich dort als Viehzüchter nieder. Manch einer von ihnen zahlt jedem dahergelaufenen Halunken ein Pfund Sterling, wenn er ihm ein Paar Indianerohren bringt.«
    Rita erschauerte.
    »Wie grauenhaft!«, murmelte Balthasar.
    »Auch hier gibt es Siedler, die einen Spaß daran finden, sich Sattel und Zaumzeuge aus der Haut von Indianern zu machen. Sie sind so dreist! Wenn ein Weißer einen Indianer erschießt, geht er oft freiwillig nach Punta Arenas, um sich beim Gouverneur anzuzeigen – mit der Ausrede, dass er sich nur gegen einen Angriff verteidigen musste. Sie alle bleiben straffrei.«
    Trostlos und leer klang die Stimme. Rita schluckte, glaubte zu ersticken – kurz nicht nur von der Erinnerung an Jerónimo und Esteban gepeinigt, sondern von einer anderen. Der Erinnerung an Schreie, Schüsse, an Tod, an die letzten Worte ihres Vaters und an ihre Flucht …
    Wie war es möglich, dass sämtliche Dämonen ihres Lebens auf einmal losgelassen worden waren und auf sie einhackten wie Aasgeier?
    Der Boden schien unter ihr zu schwanken. Sie würde fallen, wenn Balthasar sie nicht gehalten hätte.
    »Versteck dich wieder in dem Schuppen«, sagte dieser eben zu Maril. »Und du«, er wandte sich an sie, »du darfst keine Furcht zeigen – sie würden sie wittern wie hungrige Löwen das Blut. Und wir müssen Emilia beistehen. Es ist eure Estancia – Emilia hat jedes Recht der Welt, sie von hier zu verjagen.«
    Rita war zu schwach, um Widerstand zu leisten, als er sie mit sich zog. Sich von ihm loszureißen hätte sie davor gefeit, Jerónimo und Esteban unter die Augen treten zu müssen – doch allein hierzubleiben, das konnte sie nicht!
    Balthasars Worte echoten in ihren Ohren. Emilia hat jedes Recht der Welt, sie von hier zu verjagen …
    War das wirklich so?
    Agustina hatte Emilia damals die Besitzurkunde überreicht, doch hier in der Einöde hatte ein Fetzen Papier womöglich nicht

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