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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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sattelte jeden Tag aufs Neue sein Pferd. Und auch sie selbst und Agustina ließen es sich nicht nehmen, das Land zu durchforschen.
    Doch bisher war alles vergeblich gewesen. Maril, der das Land am besten kannte, behauptete zwar, Spuren gefunden zu haben, die von der Estancia wegführten, doch es gab nicht den geringsten Beweis, dass diese tatsächlich von Jerónimo und Esteban stammten – und darüber war sich auch Maril im Klaren, dessen Miene immer verschlossener und dessen dunkler Blick immer trauriger wurde.
    Balthasar fiel es zunehmend schwerer, an seiner Hoffnung festzuhalten, dass sie Aurelia finden würden. Und Pedro dröhnte zwar laut, er würde jedem die Haut vom Leibe reißen, der sich an der Kleinen vergriffe – aber Rita wusste: Laut dröhnend etwas zu verkünden und es tun waren bei Pedro zweierlei Sachen, und solange sie Esteban und Jerónimo nicht fanden, konnte er sich auch nicht an ihnen rächen.
    Dass Rita sich Balthasars Aufforderung widersetzt hatte und selbst nach Aurelia suchte, war längst aufgeflogen, und anfangs hatten sie noch darüber gestritten. Mittlerweile stritten sie nicht mehr, weil sie kaum mehr miteinander redeten. Sie starrten sich hilflos an wie zwei verlorene Kinder. Balthasar wusste nicht mehr, wie er sie trösten sollte. Und sie wusste nicht, wie sie verhindern konnte, dass um sie herum eine dünne Wand aus Kälte und Härte wuchs, an der alles abprallte.
    Fröstelnd strich sich Rita über ihre Arme. Sie hörte Schritte hinter sich, und als sie sich umdrehte, sah sie Maril. Der Wind schien ihm nichts anzuhaben; sie hatte noch nie erlebt, dass er zitterte.
    Ob seines Anblicks seufzte sie erleichtert. Von allen Bewohnern der Estancia konnte sie ihn noch am besten ertragen, weil er die größte Ruhe ausstrahlte.
    »Gibt es … gibt es etwas Neues?«, fragte sie.
    »Es wurde kein weiteres Mal Geld gefordert …«
    Rita seufzte wieder – diesmal kummervoll. Vor drei Wochen hatte sie erstmals zu hoffen gewagt, dass sie Aurelia heil zurückbekommen würden. Ein Fremder war auf die Estancia gekommen, verlottert, zerrissen und dreckig, und hatte im Namen von Esteban und Jerónimo Geld verlangt, Lösegeld, und zwar zweihundert Pesos. Das war nicht wenig, aber auch nicht zu viel, um es nicht irgendwie zusammenzubringen.
    Pedro war anzusehen, dass er den Mann am liebsten vom Pferd gezerrt und ihn geprügelt hätte, bis er gesagt hätte, wo Aurelia versteckt wäre – doch Rita hatte ihn davon abgehalten. Sie könnte ihm erst das Geld geben, wenn sie in Punta Arenas bei der Bank gewesen wäre – im Augenblick hätte sie nur etwa zwanzig Pesos zur Hand. Der Mann nahm es als Anzahlung entgegen, versprach im Tausch ein Lebenszeichen von Aurelia und dass er bald zurückkehren würde, aber nachdem er mit dem Geld weggeritten war, hatten sie nie wieder von ihm gehört. Irgendwann waren sie zum Schluss gekommen, dass er Esteban und Jerónimo gar nicht kannte, sondern lediglich von der Entführung gehört und ihre Sorgen schamlos ausgenützt hatte, zumal sie alle Menschen, denen sie auf der Suche begegnet waren, nach Aurelia gefragt hatten – Wegelagerer, Händler, Estancieros, Indianerjäger –, es also viele gab, die von ihrer Notlage wussten.
    Rita umkrallte ihre Arme. »Das Schlimme ist …«, murmelte sie, »das Schlimme ist, dass es Jerónimo nicht ums Geld geht. Esteban vielleicht. Er würde Aurelia nicht töten, wenn er im Gegenzug die Estancia bekommt. Aber Jerónimo … er braucht keine Estancia und auch kein Geld, er weidet sich am Leid anderer Menschen, weil ihn das sein eigenes ödes Leben am besten ertragen lässt. Er würde das größte Vergnügen daran finden, wenn wir ihm alles geben, was wir haben – und am Ende erkennen müssen, dass Aurelia längst tot ist.«
    Sie wandte sich rasch von Maril ab, damit er ihre Tränen nicht sah, und starrte wieder auf die karge Landschaft. Patagonien war so groß, weit und wild, und nirgendwo war ihr Kind. Sie ertrug den Anblick nicht, blickte verzweifelt hoch zum Himmel. Obwohl sich die Nacht noch nicht über das Land gesenkt hatte, war das Sternenzelt sichtbar.
    Maril folgte ihrem Blick. Sie wusste, dass die Tehuelche sich an den Sternen orientierten, dass der Himmel ihnen oft den Weg zeigte. Nur zu Aurelia konnten die Sterne ihn nicht führen.
    »Ich würde so gerne helfen«, murmelte er tieftraurig. Von allen ließ er es sich am wenigsten anmerken – aber Rita ahnte, dass er genauso um Aurelia bangte wie sie. Kinder

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