Jenseits von Feuerland: Roman
zuritten. In den letzten Wochen hatte Balthasar immer wieder darauf bestanden, dass sie sich Hilfe von der Obrigkeit holen sollten – doch immer wieder hatte sie erklärt, dass es keinen Sinn hatte. Nicht nur, dass diese uniformierten Truppen, die man Pampa-Polizei nannte und die im Namen der Gobernación von Punta Arenas unterwegs waren, ohnehin so gut wie nie in der menschenleeren Weite Patagoniens anzutreffen waren. Obendrein, so hatte Maril ihr bestätigt, griffen sie nie ein, wenn es um den Schutz einer Rothaut ging, sahen vielmehr zu, wenn diese von Farmern und Estancieros grausam abgeschlachtet wurden. Manche halfen sogar dabei. Doch Balthasar hatte stets eingewandt, dass Aurelia ein kleines Mädchen sei, dessen Geschick einen jeden rühren würde – und offenbar hoffte er dies auch weiterhin, als er nun die Truppe erreichte und Rita aus der Ferne sah, wenn auch nicht hörte, wie er auf sie einredete.
Die Uniformen der Truppe waren ungemein farbenprächtig. Die Männer, die sich in den Dienst des chilenischen Staates gestellt hatten, kamen hier im Süden aus aller Herren Länder und redeten in verschiedenen Sprachen miteinander. Um ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu erzeugen, hatte man ihnen wenigstens eine einheitliche Kleidung verpasst. Dies wiederum hatte ein Ungar oder ein Österreicher so entschieden, der sich die Uniform der königlich-kaiserlichen Armee seiner Heimat zum Vorbild genommen hatte.
»Was macht diese Truppe wohl in dieser Einsamkeit?«, fragte Rita.
Maril runzelte die Stirn. »Vielleicht ein paar Rothäute töten?«, schlug er vor.
Rita schüttelte den Kopf. »Sie wissen bestimmt nicht, wo Aurelia ist.«
Als Balthasar und Pedro zurückkehrten, mussten sie gegen den Wind anschreien, um mitzuteilen, was sie erfahren hatte. Die Pampa-Polizisten waren ausgerückt, um einen Streit zwischen zwei Estancieros zu klären. Offenbar hatte jemand unberechtigterweise Land beansprucht, das eigentlich zu Argentinien gehörte. Auf dem Rückweg wären sie eben erst an einer Familie vorbeigekommen – einem Mann, einer Frau und einem Kind. Der Mann hätte behauptet, er wäre Händler.
»Na und?«, murmelte Rita und hielt an den steilen Hängen der Hochebene Ausschau nach einer Höhle.
»Sie sind drei Menschen begegnet! Verstehst du?«, rief Balthasar aufgeregt. »Einem Mann, einer Frau und einem Kind! Es könnten die drei sein …«
Geistesabwesend schüttelte Rita den Kopf. »Weder Esteban noch Jerónimo würden sich als Frau verkleiden.«
»Vielleicht haben die Männer nicht genau hingesehen. In jedem Fall habe ich ihnen unsere Lage erklärt, und sie sind bereit, mit uns gemeinsam dieser Familie nachzureiten. Am besten, du bleibst hier und wartest, ja?«
Gedankenverloren hörte Rita ihm nicht zu.
»Verstehst du mich?«, rief er eindringlich.
»Sie sind in einer Höhle …«, murmelte sie. »Sie ziehen nicht durch das Land. Sie haben sich in einer Höhle versteckt.«
»Rita, hör mir zu! Vielleicht waren sie auch in einer Höhle! Vielleicht hattest du recht mit deinem Traum. Aber jetzt … jetzt haben sie die Höhle verlassen. Und die Pampa-Polizei ist bereit, sie zu suchen. Es wird alles gut, Rita, das verspreche ich dir, es wird alles gut, aber bitte bewahre jetzt die Ruhe.«
Sie schüttelte den Kopf. »Sie sind in einer Höhle, ich weiß es. Aurelia … Aurelia sagt es mir.«
»Rita …« Hilflos war sein Blick auf sie gerichtet.
Da riss sie sich zusammen. »Nun mach schon!«, erklärte sie. »Reitet dieser Familie nach. Es kann auf jeden Fall nicht schaden zu prüfen, wer sie wirklich sind. Pedro soll mit dir kommen – und Maril und Agustina warten bei mir.«
Balthasar seufzte erleichtert. »Es wird alles gut«, sagte er wieder. Es klang ebenso erschöpft wie verzweifelt, aber auch ein klein wenig hoffnungsfroh. »Es wird alles gut.«
Dann gab er dem Pferd die Sporen und verzog dabei kurz das Gesicht vor Schmerzen, die ihm sein krummes Bein bereiteten. Pedro folgte rasch und fluchte wieder auf die Unholde, die sein Mädchen entführt hätten.
Schweigen senkte sich über sie. Agustina hatte bis jetzt noch kein Wort gesagt.
»Und nun?«, fragte Maril. So erleichtert er auch schien, den neugierigen Blicken der Pampa-Polizei entgangen zu sein, er wollte nicht untätig bleiben. Er deutete in die Ferne. »Siehst du dort das Becken? Hier muss ein Fluss einst durchs Land geflossen sein, vielleicht hat er auch Höhlen ins Land gegraben. Ich könnte dort nach ihnen
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