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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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roten Bart und krausem Haupthaar, das tief in die Stirn hing, verborgen – beides so verfilzt und schmutzig, dass es wohl schon seit Ewigkeiten kein Wasser und keine Seife mehr gesehen hatte. Emilia wollte sich nicht ausmalen, wie viel Läuse und Flöhe darin krochen – Ungeziefer, dass sie gerne in Kauf nahm, solange die Soldaten entsetzt vor diesem Riesen zurückwichen. Der Fremde war nicht nur übermäßig groß, sondern auch breit. Seine Schultern glichen einem Schrank, die Hände den Pranken eines Bären. Wenn dieser Mann ungeduldig durch die Luft wedelte, um eine Fliege zu vertreiben, könnte er jemanden – so er ihn denn zufällig traf – erschlagen. Und wenn er stolperte und auf jemanden fiel, würde dieser Unglückliche gewiss zerquetscht werden.
    So breitbeinig, wie er dastand, drohte diese Gefahr allerdings nicht.
    »Also, ihr Halunken!« Die tiefe, dröhnende Stimme ging Emilia durch Mark und Bein. »Was wollt ihr von den beiden Mädchen?«
    Einer der Uniformierten wagte es, dem Fremden zu trotzen.
    »Wir sind Soldaten – wir sollen neue Männer fürs Heer rekrutieren.«
    »Ich verstehe«, gab der Riese ungerührt zurück, »und da es auf dieser Welt keine Männer mehr gibt, müssen es jetzt Frauen sein?«
    »Wir wussten ja nicht, dass es Frauen sind!«
    Der Mann wurde bleich, als der Riese auf ihn zutrat. »Nun, jetzt wisst ihr’s und steht immer noch da. Warum wohl?«
    Die Soldaten tauschten schweigend Blicke aus, ängstlich und verlegen bei den einen, trotzig bei den anderen. In jedem Fall kamen sie alle zum gleichen Schluss – dass es besser war, zu fliehen. Die Mutigeren schritten hoheitsvoll und langsam von dannen, andere stürzten panisch davon. Am Ende waren sie alle fort.
    Der Riese starrte den Soldaten missmutig nach, dann wandte er sich den beiden Frauen zu. So furchterregend jede seiner Bewegungen aufgrund der ungeheuerlichen Körpermasse auch war – Schnelligkeit schien seine Sache nicht zu sein. Es dauerte Ewigkeiten, bis er sich zu Emilia heruntergebeugt hatte und sie nicht nur die Nasenspitze aus dem Wust an Bart und Haaren hervorragen sah, sondern auch in wache, warme Augen blickte. Rita klammerte sich noch fester an sie – doch Emilia spürte instinktiv, dass sie vor diesem Mann keine Angst haben musste.
    »Soso … zwei Mädchen alleine unterwegs«, stellte er dröhnend fest.
    Rita quiekte auf. Unendlich langsam wanderte der Blick des Mannes, der sich eben noch auf Emilia gerichtet hatte, zu ihr und wurde nachdenklich.
    »Sehe ich aus, als würde ich euch etwas zuleide tun?«, knurrte er und klang gekränkt.
    »Um ehrlich zu sein, ja«, gab Emilia trocken zu.
    Der Mann lachte. Das hieß, er lachte nicht einfach nur, sein ganzer Leib schaukelte. »Ich bin Pedro el Ballenero«, rief er stolz, »ein Walfänger – kein Mädchenfänger.«
    Ritas Griff wurde nicht lockerer, dennoch wagte sie heiser zu fragen: »Wale?«
    »Das sind große Fische im Ozean«, erklärte Emilia rasch.
    »So ist es«, bestätigte Pedro. »Tatsächlich sind es sogar riesige Fische. Im Vergleich zu ihnen bin ich ein Mäuschen.«
    Emilia konnte sich nicht vorstellen, dass der Mann in irgendeiner Lebenslage klein wirken könnte.
    »Ja, ja«, fuhr er fort, »sie sind die gefährlichsten Meeresbewohner überhaupt! Sie können ein ganzes Boot auf einmal schlucken.«
    Rita riss die Augen auf, aber Emilia ahnte, dass er gnadenlos übertrieb. Er schien seine Worte auch selbst nicht ganz ernst zu nehmen, denn prompt lachte er wieder dröhnend.
    »Und Sie fangen die Wale hier in Corral?«, fragte Emilia nachdenklich.
    »Nein, nein«, erwiderte Pedro. »Weiter im Süden. In der Magellanstraße rund um Punta Arenas.«
    Er rieb sich den Bart, der daraufhin nur noch dreckiger und zerzauster vom Gesicht abstand. Emilia wusste, dass das gänzlich fehl am Platz war, aber plötzlich wurde das Bedürfnis übermächtig, diesen Bart und das verfilzte Haar mit Schere, Wasser und Seife zu bearbeiten.
    »Wo liegt Punta Arenas?«, fragte Rita schüchtern.
    »Das ist eine Stadt im Süden von Chile«, antwortete Emilia. »Dahinter kommt nur mehr Feuerland, und dann …
    »Jenseits von Feuerland ist das Ende der Welt«, schloss Pedro an ihrer Stelle. »Und wohin wollt ihr, Mädchen? Es ist nicht ungefährlich, ganz allein unterwegs zu sein. Und eure lächerliche Verkleidung ist nicht unbedingt Schutz – im Gegenteil.«
    Er schien die ganze Angelegenheit ungeheuer komisch zu finden, denn wieder bebte sein ganzer Körper,

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