Jenseits von Feuerland: Roman
sehen, und begaben sich wieder an die Arbeit – der eine flickte Netze, ein anderer weidete Fische aus, wieder ein anderer schlug ein Brett über ein Loch. Nur dieser Esteban starrte sie weiterhin an. Er stützte sich an den Mast, rieb nachlässig zwei Muscheln aneinander und verursachte ein kratzendes, unangenehmes Geräusch.
Emilia wäre am liebsten wieder von der Schaluppe geflohen, aber dann straffte sie die Schultern und entschied, sich nicht von ihm einschüchtern zu lassen. Sie trotzte seinem Blick, und diesmal machte er kein finsteres Gesicht, sondern lächelte. Emilia erschien dieses Lächeln so hohl wie die Muscheln, die er aneinanderrieb.
7. Kapitel
A ls die Schaluppe ablegte, hatte Emilia keine Zeit für Wehmut, weil sie vertrautes Land nun endgültig zurückließ – sie war viel zu sehr damit beschäftigt, nicht umzufallen, ihre Übelkeit zu unterdrücken und sich auf dem Schiff zurechtzufinden. Zumindest Letzteres fiel nicht sonderlich schwer, so klein, wie es war.
Nachdem er ihre Pferde verkauft und ihnen mit großer Selbstverständlichkeit das Geld überreicht hatte, hatte Pedro sie in die Kombüse gebracht. Als Emilia sich dort umblickte, konnte sie nicht glauben, dass es hier je einen Koch gegeben hatte. Niemand, der zwei gesunde Hände hatte, würde diesen engen Raum und die Blechnäpfe, die sich dort befanden, derart verdreckt hinterlassen! Pfannen waren nicht zu finden, lediglich ein Messer, und das war stumpf, und die Vorräte für die Reise fielen mehr als mager aus. Es gab keine Eier, nur etwas Mehl, Speck, Kartoffeln, Wasser und ein Fass Bier.
Angesichts dessen, dass es kaum etwas gab, was man zu irgendeinem Gericht verarbeiten konnte, fragte sich Emilia, warum man überhaupt einen Koch an Bord brauchte – aber das sagte sie nicht laut.
»Und das soll bis Punta Arenas reichen?«, murmelte sie skeptisch. Sie wusste nicht genau, wie lange sie von hier nach Punta Arenas reisen würden. Nach Valparaíso war man etwa zwei Wochen mit dem Schiff unterwegs – wahrscheinlich dauerte es bis zur südlichsten Stadt Chiles ähnlich lang.
»Ach was!«, rief Pedro leichtfertig. »Unterwegs fangen wir Fische, außerdem sammeln wir essbare Algen und Muscheln. Davon gibt’s immer genug.«
Die Kombüse war so niedrig, dass er nicht aufrecht stehen konnte, sondern den Kopf einziehen musste und dadurch wie eine riesige fleischige Kugel wirkte.
Auch Rita verzog angewidert das Gesicht, als sie sich umsah. Ansonsten – das musste Emilia ihr lassen – hatte sich die Gefährtin als erstaunlich trittfest herausgestellt. Das stete Schaukeln schien bei ihr keine Übelkeit zu verursachen, und zu Emilias Erstaunen wagte sie es nun sogar, Pedro selbst eine Frage zu stellen. Sie habe gesehen, wie einer der Männer Netze flickte, und wolle vorschlagen, es an dessen Stelle zu tun.
Pedro nickte eifrig, kam wenig später mit kaputten Netzen wieder, um Rita zu zeigen, was zu tun war, und diese machte sich gleich an die Arbeit. Sie sah weder hoch, als Pedro wieder nach oben stieg, noch, als sie – durch eine kleine Luke konnten sie nach draußen sehen – den Hafen endgültig hinter sich ließen. Anders als Emilia hatte sie sich auch nicht gescheut, sich auf einen der ebenso winzigen wie morschen, vor allem aber klebrig verdreckten Stühle zu setzen. Emilia hingegen stand breitbeinig da, versuchte, das Gleichgewicht zu halten, und blickte sich suchend nach etwas um, woran sie sich festhalten konnte, ohne schmutzig zu werden. Doch es gab rein gar nichts, was nicht von der klebrigen Schicht überzogen war.
Die dringendste Arbeit war folglich nicht das Kochen, sondern sauber zu machen, entschied sie – und konnte sich dennoch nicht überwinden, damit anzufangen.
Rita ließ das Netz sinken. Emilias Zaudern schien ihr nicht entgangen zu sein. »Aber es war doch deine Idee …«, sagte sie hilflos.
Da presste Emilia ihre Lippen aufeinander, straffte die Schultern und nickte entschieden. »So ist es«, sagte sie mit einer Stimme, die Wort für Wort fester wurde, »ich habe es entschieden – und jetzt müssen wir das Beste daraus machen.«
Nicht nur Ritas ängstliches Gesicht und die Ahnung, dass sie sich gegenseitig verrückt machen würden, gab sie sich dem Anflug von Schwäche hin, waren ihr Ansporn. Überdies hörte sie plötzlich ganz klar und deutlich Annelies Worte, wenn diese von den ersten Jahren in Chile gesprochen hatte: »Hier galt es aus wenig viel zu machen und aus nichts alles.«
Wenn es
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