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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
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die Frau sie verstanden, trat sie jetzt aus dem Schatten in die Sonne. Ihr Gesicht war nun gut zu erkennen. Klar gezeichnete Züge, volle Lippen, hellblaue Augen in einem Kranz von tiefen Falten, blondes Haar mit silbrigen Strähnen. Ein nordischer Typ, aber nicht mehr jung. Anfang bis Mitte fünfzig vielleicht. Sie wirkte auf den ersten Blick sympathisch.
    Mit einem zögernden Lächeln kam die Frau auf Anita zu. »Hallo … guten Tag … ?« Ihr Ton hob sich zu einer Frage.
    Â»Mum«, rief Maurice dazwischen. »Das ist Anita. Ich habe dir von ihr erzählt. Die, die ich mit dem Gepäckwagen angefahren habe. Und nun hat sie mir netterweise meinen USB-Stick zurückgebracht, den ich auf Inqaba verloren hatte.«
    Â»Oh, das ist aber freundlich von Ihnen.« Die Frau streckte Anita die Hand hin. »Möchten Sie hereinkommen und etwas Kühles trinken? In dieser Hitze hat man ja das Gefühl, völlig auszutrocknen.« Sie begleitete ihre einladende Geste mit einem Lächeln. »Hier entlang. Wir sollten uns auf die Veranda setzen. Die ist herrlich schattig.«
    Anita öffnete den Mund, aber ihre Stimme wollte ihr nicht gehorchen. Sie schloss die Augen und atmete tief durch, dann
sah sie der Frau fest in die Augen. »Cordelia?«, sagte sie laut. Nur dieses eine Wort.
    Die Hand der Frau blieb bewegungslos in der Luft stehen, ihr Willkommenslächeln fror ein. Dann schüttelte sie leicht den Kopf, als hätte sie sich verhört. »Ich heiße Lia, Cordelia hat mich seit Jahrzehnten niemand mehr genannt. Ich schätze diesen Namen nicht. Kennen wir uns?«
    Erneut durchlief Anita ein Zittern, ihre Zähne schlugen aufeinander. Dirk legte ihr wieder fürsorglich den Arm um die Schultern.
    Die Frau war eine attraktive Erscheinung. Sie trug keinen Ehering, nur eine einfache Uhr, sonst keinen Schmuck. Verfärbungen an ihren unlackierten Fingernägeln und Händen zeugten von der Arbeit im Garten.
    Â»Was zum Henker geht hier vor?«, flüsterte er Anita zu. »Du kannst unmöglich Angst vor dieser Frau haben. Die ist doch völlig harmlos. Und deine Mutter ist sie mit Sicherheit nicht.«
    Anita antwortete nicht. Ihre Muskeln spannten sich zu harten Stricken. »Mein Name«, wisperte sie auf Deutsch, »mein Name ist Anita Carvalho.«
    Der Kopf der Frau schnellte hoch. Das Lächeln erlosch schlagartig. »Wie bitte?«, fragte sie auf Englisch.
    Â»Anita Carvalho«, wiederholte Anita mit etwas kräftigerer Stimme und wand sich aus Dirks Umarmung. »Anita Carvalho.«
    Mit eingefrorener Miene starrte die Frau, die Anita mit Cordelia angesprochen hatte, ihr Gegenüber an. Niemand sagte etwas. Die Zeit dehnte sich zu einer Ewigkeit. Schließlich schüttelte die Frau mit misstrauisch zusammengezogenen Brauen den Kopf. Sie ließ die Augen wieder über die Besucherin gleiten, schüttelte abermals den Kopf, dieses Mal energisch, als wäre sie zu einer Entscheidung gekommen, und wandte sich wortlos ab, um ins Haus zu gehen. Aber ihr Sohn hielt sie zurück.

    Â»Mum?« Maurice war näher gekommen und schaute ebenso verwirrt drein wie Dirk. »Was ist los? Carvalho … Seid ihr etwa verwandt? Anita?«
    Die Frau, die Cordelia hieß, sich aber Lia nannte, blieb stehen und drehte sich wieder um. »Hör auf, Maurice. Das geht dich nichts an.« Um ihren Mund lag ein harter Zug, ihr Blick war von tiefer Feindseligkeit geprägt. »Gehen Sie«, forderte sie Anita auf.
    Aber Anita rührte sich nicht, sie zitterte auch nicht mehr. »Meine Mutter hieß Anna-Dora und mein Vater Rafael Carvalho«, sagte sie laut und klar. »Er kam aus Brasilien, meine Mutter aus Norddeutschland … Sie hatten eine Farm in Zululand.« Wieder hatte sie Deutsch gesprochen.
    Die Frau im Eingang stand ganz still. Anita fing ihren flackernden Blick ein, hielt ihn fest und streckte ihr ganz langsam die rechte Hand hin. Aber die Frau bewegte keinen Muskel. Wie eine Statue stand sie da und gab nicht einmal zu erkennen, ob sie die Hand überhaupt bemerkt hatte.
    Anita ließ ihre Hand herunterfallen und holte tief Luft. Sie musste es laut sagen, es würde sie sonst ersticken. »Ich glaube, du bist meine Schwester. Meine Schwester Cordelia.«
    Der Satz platzte wie eine Bombe in die atemlose Stille zwischen ihnen. Die Frau versteifte sich, und auf ihrem Gesicht spielte sich ein wilder Kampf ab. Wie ein

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