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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
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Geheimnis. Warum hatte Cordelia ihren Sohn weggegeben, wenn sie sich so nach ihm sehnte? Warum lebte er in Deutschland und sie in Südafrika? Das war der Kern der Sache. Er würde sich vorsichtig daran herantasten müssen.
    Â»Wann bist du ins Land gekommen? Vor allen Dingen, wie? Als … Farbiger wird das nicht leicht gewesen sein.«
    Ein Lächeln blitzte auf Maurice’ Gesicht auf, wie ein Sonnenstrahl zwischen dunklen Wolken. »Mum hat gewissen Leuten ziemlich viel Geld dafür gezahlt, dass sie mich über die Grenze schmuggelten, und als ich dann hier war, war ich offiziell ihr Hausboy und hätte wie die anderen im Khaya wohnen müssen  – das ist das Zuluwort für Haus. Schwarze Hausangestellte bekamen in einem weißen Haushalt in den meisten Fällen einen kleinen Raum zugewiesen, eine Art Betonbox, die oft an die Garage angebaut war.«
    Mit einem Stöckchen zeichnete er ein Viereck in den Sand.
    Â»Hier«, sagte er und malte einen Halbkreis. »Eine primitive Toilette mit Dusche und einem Handwaschbecken, vom Schlafraum abgetrennt. Ein winziges Fenster unter der Decke. Das war’s. Natürlich wurde mir offiziell eine dieser Betonboxen zugewiesen, aber meine Mutter …« Stolz vibrierte in seiner Stimme. »Meine Mutter hat Gefängnis riskiert, als ich bei ihr einzog.« Abermals legte er eine Pause ein, in der er sich damit beschäftigte, Ameisen zu zerdrücken.
    Dirk zügelte seine Ungeduld und schwieg ebenfalls. Nach ein paar Minuten nahm Maurice seine Geschichte wieder auf.

    Â»Nur wenn der Bantu-Polizeiinspektor kam, bin ich wie der Blitz in das Khaya gerannt und habe mich dort unter der Bettdecke versteckt. Der Kerl hatte einen sechsten Sinn. Er hat überall herumgeschnüffelt und auch die anderen Hausangestellten befragt. Aber die hatte Mum reichlich dafür bezahlt, dass sie das Maul hielten.« Er stieß ein freudloses Lachen aus. »Aber iPimpi gab’s genug. Irgendjemand hat dem Inspektor etwas gesteckt, worauf der sogar die Bettlaken befühlte, um zu sehen, ob ich was mit der Hausherrin am Laufen hatte. Sex zwischen Weiß und Schwarz war so ziemlich das schlimmste Verbrechen unter der Apartheidregierung. Mum, die allein wohnte, war ihnen ohnehin suspekt, das kurbelte ihre schmutzige Fantasie an. Weiße Frau, farbiger Boy. Diese Schweine.« Er spuckte in den Sand.
    Dirk schwieg. In seinem Kopf drehten sich die Bilder und zogen ihn immer tiefer in die Thematik. »Wenn wir uns also während der Apartheid begegnet wären, hätte ich dich Boy genannt und du mich Master?«
    Maurice warf den Kopf zurück und lachte aus vollem Hals. »Yes, Master, Boss, Sir!« Kichernd schüttelte er den Kopf. »Oh yes, Master.«
    Â»Kein Wunder, dass es hier geknallt hat«, murmelte Dirk. Stirnrunzelnd betrachtete er die beiden Schwestern. Aus dieser Entfernung war die Ähnlichkeit deutlicher, obwohl Anita goldbraunes Haar hatte und Cordelia blondes. Der Gesichtsschnitt war gleich, ihr Körperbau und auch ihre Gestik ähnelte sich. Und sie besaßen die gleiche melodiöse, weiche Altstimme. Die Frage, ob Anita die ganze Zeit über nur das Ziel gehabt hatte, ihre Schwester zu finden, interessierte ihn mehr als alles andere. Während der kurzen Zeit, die er sie kannte, war er nie auf die Idee gekommen, dass sie aus einem anderen Grund nach Südafrika gekommen war, als ein paar Tage auf dem Filmset zu verbringen. Wenn das nicht so war und sie eigentlich vorgehabt hatte, nach ihrer Schwester zu suchen, dann war sie sehr gut darin,
ihre Emotionen zu verbergen. So weltfremd, wie sie manchmal wirkte, bewusst oder unbewusst, war sie offenbar doch nicht. Er wandte sich wieder zu Maurice um, der es aufgegeben hatte, Ameisen zu morden, und sich einen anderen Fels als Sitzplatz gesucht hatte.
    Â»Und dein Vater … war er Südafrikaner?«
    Das Lachen auf Maurice’ Gesicht erlosch. Wieder zuckte er hilflos mit den Schultern. »Glaube ich schon. Ich habe ihn nie kennengelernt, und meine Mutter redet nicht über ihn … kein Wort. Wie bei ihren Eltern. Nicht eine Silbe.« Er hob einen Arm und betrachtete seine karamellfarbene Haut. »Ganz offensichtlich war er nicht weiß«, setzte er mit einem bitteren Grinsen hinzu. »Sonst ist mir wirklich nichts weiter über ihn bekannt.«
    Die tiefe Traurigkeit, die in diesen Worten mitschwang, die Tränen, die Maurice

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