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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
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unter der Apartheidregierung erwachsene Männer Boy und Frauen Girls genannt wurden. Aber dieser Frage konnte sie nicht widerstehen.
    Ihre Schwester schien nicht beleidigt zu sein und zuckte nur die Schultern. »Du scheinst nicht viel über Südafrika zu wissen. So war es halt damals.«
    Â»Die Eltern haben sich geweigert, etwas über Südafrika zu erzählen. Bis zu ihrer Ankunft in Zululand kenne ich jedes Detail, aber von dem Punkt an … nichts. Kein Wort über die Zeit danach, nicht der kleinste Hinweis. Bis heute weiß ich nicht, warum. Kannst du dir einen Reim darauf machen?«
    Nach einem langen, unergründlichen Blick schüttelte Cordelia wortlos den Kopf. Ihre Augen verloren ihren Fokus, sie versank erneut in ihrem früheren Leben, und Anita war darauf angewiesen, ihr Mienenspiel zu interpretieren. Die zusammengezogenen Augenbrauen und angespannten Kinnbacken sprachen ihre eigene Sprache, die verräterisch glänzenden Augen auch. Doch es schien nicht dieselbe Sprache zu sein. Wut und Sehnsucht stritten offenbar in Cordelia um die Oberhand.
    Â»Lia?« Anita streckte die Hand nach ihrer Schwester aus und berührte sie am Arm.
    Cordelias Augen flackerten kurz zu ihr hinüber, dann schaute sie wieder weg. »Mandla heißt Kraft und Stärke … und auch Macht …« Ein Ruck ging durch sie hindurch. Sie drückte den Rücken durch und schaute Anita an. »Nun denn, er wurde Bossboy. Und in der jämmerlichen Hütte, in der ihn Vater untergebracht hat, las er in seiner Freizeit bei Kerzenlicht alles, was ihm in die Finger kam. Später erzählte er mir, was in den Büchern
passierte. Mit seiner herrlich sahnigen Stimme …« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie schluckte und machte eine hilflose Geste. »Um es kurz zu machen, er besaß eine gewisse Bildung und war unglaublich hungrig auf mehr, und da konnte ich ihm helfen. Es waren Ferien, ich war sechzehn Jahre alt, und ich war vor Langweile schon fast wahnsinnig. Und das ist das Ende der Geschichte.« Sie klatschte mit der flachen Hand wie als Schlusspunkt auf ihren Schenkel und griff nach einem Keks.
    Â»Das Ende?«, sagte Anita. »Glaub ich nicht. Ich glaube vielmehr, das hier ist der Anfang deiner Geschichte. Was ist dann passiert?«
    Cordelia stieß scharf die Luft durch die Zähne, ein Geräusch voller herausforderndem Spott. »Was denkst du denn, was passiert ist? Wir sind zusammen im Bett gelandet, was sonst? Nur im übertragenen Sinn allerdings. Tatsächlich war der Ort, an dem ich meine Jungfräulichkeit verlor, ein auseinandergezogener Ballen Stroh hinter dem stinkenden Schweinestall.« Ihre hellblauen Augen funkelten. »Natürlich hatte ich noch nie einen Mann gehabt. Es gab ja wahrhaftig kein Überangebot in dieser … gottverlassenen Gegend, und Mandla war …« Sie lächelte versonnen in sich hinein. »Nun, danach haben wir es getan, wann immer wir konnten. Ich war süchtig danach. Aber die Ferien gingen zu Ende, ich musste für die letzten Monate in die Schule, um Examen zu schreiben.« Wieder verlor sie sich in ihrem vergangenen Leben. »Er hatte eine Narbe, neben seinem Mund. Als Junge hat er wie alle kleine Zulujungs Stockkämpfe ausgetragen, und einmal wurde er dabei verletzt. Es blieb eine leuchtend rosa Narbe zurück … in der Form eines Sterns … So hab ich ihn dann immer genannt … mein Stern, mein Morgenstern  – auf Deutsch. Kitschig, oder?«
    Sie lachte freudlos und starrte sekundenlang an Anita vorbei in eine Zeit, als ihre Welt noch in Ordnung gewesen war. Als sie weitersprach, war ihre Stimme belegt.

    Â»Mandla hat immer versucht, das deutsche Wort nachzusprechen … Morgenstern … Es klang so schön, mit seiner sahnigen Stimme. Er war sehr sanft, weißt du, nicht aufbrausend und aggressiv … Er liebte Kinder …«
    Anitas Puls galoppierte, aber sie bedrängte ihre Schwester nicht, sondern wartete. Mit verschwommenem Blick knabberte Cordelia zwei Kekse und leerte dabei schluckweise ihre Tasse, ehe sie mit monotoner Stimme wieder zu sprechen anfing.
    Â»Das war Ende Januar. Wir schrieben uns, bis ich im Juni zu den Winterferien nach Hause zurückkehrte, obwohl das schwierig war, ohne entdeckt zu werden, weil unsere Post immer vorn an der Straße in einem Kasten landete, zu dem nur mein Vater den Schlüssel

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