Jenseits von Timbuktu
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Spätestens um neun Uhr wurde sie von Cordelia in deren Haus erwartet. Den ganzen Tag wollten sie miteinander verbringen. Den ersten gemeinsamen Tag in ihrem Leben. Jetzt war es bereits fünf Minuten vor neun. Sie würde sich ziemlich verspäten. Angefressen verfolgte sie den Versuch einer fetten Fliege, in die Freiheit zu entkommen, wobei sie im Sekundentakt gegen die Fensterscheibe knallte.
Kurz darauf kreuzte zu ihrem Verdruss auch noch Dirk auf, hämmerte an die Tür, rief nach ihr, nervte rum, wollte wissen, was mit ihr los sei, und ging erst weg, nachdem sie ihn angeschrien hatte, ihr sei kreuzelend, er solle verdammt noch mal abhauen und sie allein sterben lassen. Und zwar sofort.
Irgendwann aber hatte ihr Gedärm ein Einsehen, und sie konnte die Sitzung endlich beenden. Obwohl sie sich völlig leer und ausgelaugt fühlte, duschte sie noch einmal. AnschlieÃend zog sie ein weiÃes Tanktop und sandfarbene Shorts an, die ziemlich kurz geschnitten waren  â eine Tatsache, die ihr Len Pienaar wieder unangenehm ins Gedächtnis rief  â, was aber jetzt nicht zu ändern war. Eilig schluckte sie ein paar Kohletabletten und überlegte, ob sie Cordelia anrufen sollte, um ihr mitzuteilen, dass sie sich verspäten würde.
Sie lieà es aber dann bleiben, warf Bikini, Sonnencreme und Kopfschmerz- und Kohletabletten in ihre geräumige Umhängetasche,
zog Sandalen an, drückte sich den Sonnenhut auf den Kopf und machte sich auf den Weg.
Dirk Konrad war nirgendwo zu sehen, und sie ging ohne Umwege zu Jonas, der ihr den Autoschlüssel für ihren Mietwagen aushändigte. Im Blättertunnel roch es leicht modrig, und auÃer herumgaukelnden Schmetterlingen bemerkte sie kein Tier. Was nicht viel zu sagen hatte, wie sie inzwischen gelernt hatte.
Der Wagen, der wie versprochen auf dem Parkplatz auf sie wartete, war noch ziemlich neu und, soweit sie das bei ihrer Inspektion feststellen konnte, in guter Kondition. Sogar der Ersatzreifen hatte ein gutes Profil. Sie befestigte den Schlüssel an ihrem Schlüsselring mit der winzigen Igelskulptur. Die Strassaugen des kleinen Igels funkelten sie an. Die Erinnerung an jenen Augenblick, wo Frank ihn ihr geschenkt hatte, stürzte mit zerstörerischer Macht über sie herein. Mit geschlossenen Augen ertrug sie die dunkle Flut, bis sie endlich abgeebbt war. Dann drückte sie auf den elektronischen Türöffner und stieg ein.
Dumpfe Hitze empfing sie. Kaum war der Motor zum Leben erwacht, stellte sie als Erstes die Klimaanlage auf Eissturm und richtete die Düsen auf ihren Oberkörper. Ihr Oberteil blähte sich auf. Sie rückte einen Träger zurecht, der ihr von der Schulter geglitten war, setzte rückwärts aus der Parkposition und wendete.
Ein gazefeiner Schleier aus Luftfeuchtigkeit hatte sich über dem Horizont gebildet. Sie wischte sich übers Gesicht. Vielleicht würde es Regen geben, vielleicht würde diese verdammte Hitze dann etwas nachlassen. Ihr Blutdruck fing schon an, auf die Schwüle zu reagieren. Immer wieder sackte er weg. Vor ihr trottete eine Ziege unverdrossen über die SchotterstraÃe. Sie schlug mit der flachen Hand auf die Hupe und riss gleichzeitig das Steuer herum. Mit quietschenden Reifen schaffte sie es, die Ziege am Leben zu lassen und ihren Kreislauf dauerhaft wieder anzukurbeln.
Einmal bog sie falsch ab, aber dann schimmerte der Tulpenbaum im Morgenlicht. Entlang der Grenze von Cordelias Farm lagen Betonpfeiler, Maschendraht, aufgerollter Natodraht und eine Art Verteilerkasten, alles Dinge, die gestern noch nicht dort gelegen hatten. Zwei Zulus und ein WeiÃer standen beieinander und diskutierten. Offenbar wollte ihre Schwester nun auch ihre Farm einzäunen lassen und mit einem elektrischen Draht sichern. Neugierig spähte sie hinüber.
Die Illusion der heilen Welt, die ihr der Garten Timbuktus vorgegaukelt hatte, würde der Wirklichkeit weichen. Der Gedanke bescherte ihr ein eigenartiges Verlustgefühl. Erstaunt spürte sie, dass ihr, obwohl sie erst seit Kurzem von der Existenz von Timbuktu wusste, das Haus und der Garten eine Art innerer Zufluchtsort geworden waren. Es war das Haus ihrer Eltern gewesen, es hatte etwas mit ihren Wurzeln zu tun. Und jetzt wurde es mit einem elektrisch geladenen Zaun umgeben, der jeden Eindringling auÃer Gefecht setzen würde.
Unbewusst nahm sie den Fuà vom Gas und rollte langsam
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