Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
Vom Netzwerk:
besaß. Mandla benutzte als Absender einen Mädchennamen, und ich erzählte den Eltern, ich hätte eine Brieffreundin. Sie haben es geglaubt, obwohl sie gelegentlich mal nachbohrten und fragten, ob diese Freundin mich denn nicht einmal besuchen wolle. Ich flunkerte irgendetwas und lebte nur für die Augenblicke hinter dem Schweinestall.
    Als ich im Oktober mein Abschlussexamen schreiben musste, wusste ich, dass ich ein Kind bekommen würde. Ich konnte es geheim halten, bis ich meine Prüfungen hinter mir hatte. Ich hatte Angst, wie Mandla reagieren würde, aber bis zum Ende meines Lebens werde ich das Leuchten in seinen Augen nicht vergessen, als ich es ihm sagte. Das Leuchten seiner wunderschönen Augen …«
    Für ein paar Sekunden schirmte sie ihr Gesicht mit einer Hand ab.
    Â»Für einige Zeit bekam niemand mit, dass ich mich jeden Morgen übergeben musste. Es war ein stürmischer Novembertag, warm und klebrig feucht, als Mutter endlich merkte, was los war. Sie brach zusammen, und so erfuhr es dann auch Vater.« Sie atmete tief durch, als ob sie für die nächsten Sätze Kraft sammeln wollte. »Er zitierte mich zu sich ins Schlafzimmer,
zog seinen Ledergürtel aus der Hose und verprügelte mich nach Strich und Faden. Mandla musste meine Schreie gehört haben. Er kam angerannt, schwang dabei eine Schaufel als Waffe hoch über dem Kopf. Aber Vater hatte einen Revolver, und er schoss. Er erwischte Mandla an der linken Schulter, nur Zentimeter über seinem Herzen. Mandla … er konnte nicht mehr fliehen, trotzdem fesselte ihn Vater an Fuß- und Handgelenken an die Beine unseres Esstisches. Da lag er wie gekreuzigt und blutete den Boden voll. Mich sperrte Vater in mein Zimmer, und dann rief er die Polizei. Die warfen Mandla wie ein Stück Fleisch auf die Ladefläche ihres Wagens, und ich habe es vom Fenster aus mit ansehen müssen. Ich habe geschrien und an den Fenstergittern gerüttelt, aber natürlich hat das überhaupt nichts genützt. Ich schrie Mandla meine Liebe nach … ich weiß nicht, ob er mich gehört hat. Die Polizisten schleiften ihn ins Gefängnis. Nicht ohne ihn vorher fast zu Brei geprügelt zu haben … Jemand brachte mir Tage später die Nachricht und sagte mir, dass er noch lebe, aber dass es auf Messers Schneide stehe.«
    Nach einem tiefen Atemzug, sprach sie gesenkten Kopfes weiter.
    Â»Bis zu diesem Tag hatte ich Vater Papa genannt und Mutter Mama … Ich … ich habe Mandla nie wiedergesehen … Ich weiß nicht einmal, ob er tot ist oder noch am Leben. Man sagte mir, er sei tot … hätte sich umgebracht.« Sie stieß eine Art Lachen aus, ein schreckliches Geräusch. »Umgebracht. Ausgerechnet Mandla. Im Leben hätte er das nicht getan. Ich glaube, sie haben ihn zu Tode gefoltert oder aus dem Oberstock des Polizeihochhauses geworfen wie so viele. Und seinen Tod haben sie wie bei all den anderen als Selbstmord ausgegeben  – du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Menschen auf diese merkwürdige Art damals Selbstmord begangen haben sollen. Aber er muss tot sein, sonst wäre er längst gekommen, um mich zu holen …
Er ist nie gekommen …« Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen.
    Â»Was hat Pap… Vater darauf getan?«, wisperte Anita.
    Cordelia stand auf und schlang sich die Arme um den Leib. Mit hochgezogenen Schultern begann sie, hin und her zu laufen. Ihre Schritte hallten auf den Dielen. Ein harsches Klappern in der dichten Stille der afrikanischen Mittagshitze. Plötzlich wirbelte sie herum und stemmte die Arme in die Hüften.
    Â»Er wollte mich zwingen, mein Kind wegzumachen. Er schleppte mich in Durban zu einer Engelmacherin  – so eine, die es auch mit Stricknadeln macht, weißt du, in ihrer Küche auf dem Küchentisch. Sie hatte ein Gebräu zusammengemischt, das mein Kind aus meinem Bauch heraustreiben sollte … Ich hab es ihr und Vater ins Gesicht geschüttet …« Eine Tränenflut überwältigte sie, und sie sank in ihren Sessel.
    Anita starrte ihre Schwester mit glasigen Augen an. Sie war bis in ihre Grundfesten erschüttert. Vergeblich versuchte sie, das Bild, das sie von ihrem Vater in sich trug, mit dem Mann in Einklang zu bringen, der seine schwangere Tochter mit einem Gürtel verprügelte. Der alles getan hatte, um ihr Kind, sein eigenes Enkelkind,

Weitere Kostenlose Bücher