Jenseits von Timbuktu
mitten im Nirgendwo in den Midlands verbracht, wo auch Deutsch unterrichtet wurde. In den Ferien war ich dann hier auf der Farm. Nachbarn waren weit entfernt und nur mit dem Auto zu erreichen. Abgesehen davon, dass wir lediglich einen Bakkie besaÃen, der auch noch fürchterlich nach all dem Viehzeug stank, das darin transportiert wurde,
gab es den Highway noch nicht. Wollte ich mal nach Richards Bay oder so, musste ich warten, bis Vater dorthin fuhr, und das war sehr selten der Fall.
Elektrizität hatten wir nur, wenn der Generator angeworfen wurde, und der war viel zu schwach, um mehr als ein oder zwei Glühbirnen zu betreiben. Musik musste ich mir selbst machen, also lernte ich, Gitarre zu spielen. Ins Kino nach Richards Bay kam ich nur dann, wenn mich Freunde abholten. Vielleicht zwei Mal im Jahr.«
Anita bemühte sich, hinter den trockenen Worten das Leben zu erahnen, das ihre Eltern und Cordelia in Zululand geführt hatten. Während beide Schwestern für sich ihren Gedanken nachhingen, erschien Cathy aus der Küche, und der Duft von frisch gebackenen Keksen und Kaffee breitete sich aus.
Cordelia nahm ihrer Haushaltshilfe das Tablett ab, goss Kaffee in die Tassen und bot Anita die Kekse an. »Ich habe sie vorhin extra gebacken.«
Für mich, dachte Anita und lächelte. Also liegt ihr doch etwas an mir. Dankend nahm sie einen Keks und hob die Tasse an die Lippen. Der Keks aus Mürbeteig war wirklich sehr gut. Zwischen zwei Bissen wagte sie eine Zwischenfrage. »Seid ihr nie woandershin gefahren?«
Cordelia zuckte mit den Schultern. »Doch. Kurz vor Weihnachten sind wir immer in die GroÃstadt Durban gefahren, wo es Geschäfte mit einer ordentlichen Auswahl gab, viele Restaurants und mehrere Kinos. Dort kaufte Mama eine neue Schuluniform für mich, wenn ich aus der alten herausgewachsen war. Ein Festtag. Wir aÃen in einem kleinen Restaurant an der Marine Parade, und ich durfte im Meer schwimmen. Es war der Höhepunkt des Jahres. Sonst verlief unser Alltag jahraus, jahrein immer gleich. Es war zum Heulen langweilig, und ich bin oft vor Frustration schier die Wände hochgegangen.«
Was Anita unschwer nachvollziehen konnte. Sie aà schweigend.
Der Keks knirschte, und sie versuchte, leiser zu kauen, was ihr nicht gelang. Sie bürstete sich die Krümel vom Top und lieà den zweiten Keks vorerst auf dem Teller liegen. Cordelia nippte an ihrem Kaffee, hatte sich offensichtlich weit in die Vergangenheit zurückgezogen und schien sie gar nicht mehr wahrzunehmen.
»Und dann?«, flüsterte Anita schlieÃlich, ahnte, dass jetzt der Punkt in Cordelias Leben gekommen war, an dem sich alles unwiderruflich verändert hatte. Nach dem nichts mehr so gewesen war wie zuvor.
Cordelia setzte ihren Kaffee ab und sah sie an. »Und dann kam Mandla.«
Sie sprach das erste A des Namens lang aus, das zweite kurz und hart, und in der Mitte war ein eigenartiger weicher Laut, kein Sch, aber so ähnlich. Maandlá!
»Mandla?« Anitas Aussprache war falsch, das hörte sie selbst, aber dieser Laut in der Mitte war für ihre Zunge einfach zu schwierig.
Ein Funke glühte in der Tiefe der hellblauen Augen auf. »Mandla Silongo ist ⦠war ein Zulu. Er war schön ⦠seine Lippen â¦Â« Cordelias Züge wurden weicher, ihr Blick verschleierte sich träumerisch, ein paar Sekunden verstrichen, ehe sie weitersprach. »Er war groà und breit wie ein Schrank. Eines Tages, nach einem verheerenden Unwetter, saà er da vorn.« Sie zeigte zur StraÃe. »Er saà auf einem von den Regenmassen angeschwemmten Baumstamm und aà Mopaniraupen aus einem BlechgefäÃ. Als er fertig war, wusch er sich in dem schmalen Flüsschen, das dahinten vorbeiflieÃt  â allerdings ist es jetzt so gut wie ausgetrocknet  â und putzte sich mit Baumrinde die Zähne. AnschlieÃend marschierte er geradewegs zur Haupteingangstür unseres Hauses  â nicht zu dem für Schwarze am Küchenhof  â und erklärte Vater, dass er Bossboy sein wolle. Mein Vater lachte laut, wollte ihn schon rauswerfen, aber Mandla â¦Â«
»Was ist ein Bossboy?«, unterbrach Anita sie, obwohl sie sich das halbwegs denken konnte.
»Vorarbeiter â¦Â«
Anita hob in übertriebenem Erstaunen die Augenbrauen. »Bossboy? Junge? Er war doch erwachsen!« Natürlich hatte sie gehört, dass
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