Jenseits von Timbuktu
aufstöhnte. Bildfetzen von Stricknadeln, dampfender Giftsuppe und einem blutbesudelten Küchentisch wirbelten durch ihren Kopf. Und die Filmsequenzen aus jenem Film, in dem gezeigt wurde, wie sich das winzige Ungeborene im Bauch seiner Mutter gegen seine Abtreibung wehrte. Ihr sackte alles Blut in die zitternden
Knie, und sie suchte Halt an dem dicken Stamm einer Dattelpalme, die unmittelbar an der Mauer wuchs. Die Rinde war rau und drückte sich durch ihr dünnes Oberteil. Mit geschlossenen Augen lehnte sie den Kopf dagegen.
Ihr Vater war liebevoll gewesen, voller Aufmerksamkeit für sie, seine Tochter. Nicht ein einziges Mal hatte er auch nur die Hand gegen sie erhoben, geschweige denn sie geschlagen. Die Vorstellung, dass er sie mit dem Gürtel verprügelt hätte, war für sie so abwegig wie die, dass er Cordelia zu einer Engelmacherin geschleppt hatte. Behutsam wischte sie sich mit den Fingerspitzen die Nässe aus den Augen und stieà sich dann von der Palme ab.
Es war Unsinn. Das alles konnte mit ihrem Vater nichts zu tun haben. Cordelia log ihr etwas vor. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Wenn der Migräneanfall vorüber war, würde sie ihre Schwester zur Rede stellen. Mit beiden Händen fuhr sie sich in die Haare, hob sie hoch und schüttelte sie nach hinten. Ein kühler Luftzug berührte ihren schweiÃnassen Nacken.
Entschlossen blockierte sie jeden weiteren Gedanken an das, was Cordelia erzählt hatte, und erkundete den Garten weiter. Ãppiger Jasminduft und der würzige Geruch nach feuchtem Grün schwängerte die Luft. Das Gras war sehr kurz gehalten und voller gelber Flecken, wo die Sonne es verbrannt hatte, jegliches Unterholz und etwaiges Unkraut war sorgfältig entfernt worden. Wegen der Schlangen, vermutete sie. Ein weià gepflasterter Pfad wand sich durch den Rasen und verschwand weiter hinten zwischen blühenden, hübsch getrimmten Büschen und Palmenwedeln. Neugierig folgte sie den Weg um die Biegung.
Ohne Vorwarnung durchbrach wütendes Hundegebell die Stille, und sie sprang fast aus der Haut. Ihr Blick flitzte nervös umher, aber zu sehen war nichts, nicht einmal dieser unangenehme Riaan. Aufmerksam ging sie weiter, immer darauf gefasst,
dass Mauriceâ blutrünstige Doggen über sie herfallen könnten. SchlieÃlich hatte sie nur das Wort von Cathy, dass sie weggeschlossen waren.
Die Pflastersteine hörten irgendwann auf, und der Weg schlängelte sich wie eine rote, sandige Schlange durchs Grün. Der Sand drang seitlich in ihre Sandalen ein, färbte ihre FuÃsohlen ziegelrot und setzte sich unter den Riemen fest. Sich an einem Baum abstützend, zog sie die Schuhe aus, leerte sie, säuberte ihre FüÃe und schlüpfte wieder hinein.
Erfreulicherweise verebbte das Gebell bald, und es kehrte wieder Stille ein. Unbemerkt von ihr hatte sie den angelegten Garten längst hinter sich gelassen und war immer tiefer in den wilden Teil der Farm vorgedrungen, begierig zu entdecken, was hinter dem nächsten Gebüsch lag. Das Land stieg schrittweise an, bis es sich zu einer Hügelkuppe abflachte. Die Vegetation war hier karger. KnochenweiÃe Felsen wuchsen aus dem roten Boden, der hier und da von spärlichem Dornengestrüpp überwuchert wurde. Es roch heiÃ. Käfer krabbelten geschäftig herum, eine Eidechse fing eine kleine Heuschrecke und kaute sie mit genussvoll geschlossenen Augen herunter. Hier hatte offenbar noch keine Menschenhand Veränderungen vorgenommen. Hier musste es noch so aussehen wie zu der Zeit, als ihre Eltern hier gelebt hatten. Völlig gefangen von dieser Vorstellung, wanderte sie herum.
Die Hitze war mit steigender Sonne immer stärker geworden, die Luft stickiger, der Busch knisterte vor Trockenheit, und sie spürte, wie sich ihre Gesichtshaut zusammenzog. Automatisch tastete sie nach ihrer Umhängetasche, um die Sonnencreme herauszuholen, musste aber feststellen, dass sie die Tasche gar nicht bei sich hatte. Sie blieb stehen. Die Tasche musste noch auf der Veranda im Sessel liegen. Während sie noch zögerte, ob sie gleich zurückgehen oder erst die faszinierende Wildnis der Farm, die einmal Timbuktu geheiÃen hatte, weiter erforschen sollte, drang
ein Geräusch an ihr Ohr. Ganz kurz, sodass sie sich nicht sicher war, ob sie es tatsächlich gehört hatte. Das hohe Weinen eines Kindes.
Sie blieb stehen, um zu lauschen. Oder war es ein
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