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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
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anderen Ende warteten die Großeltern. Hast du sie gekannt?«
    Anita sah ihre Großeltern vor sich, blauäugig, kultiviert, gütig. Hände, die sie streichelten, ein Lächeln, das sie als liebevoll in Erinnerung hatte. Sie nickte vorsichtig.
    Â»Nun, sie standen am Flughafen und wirkten so hart wie aus Holz geschnitzt«, fuhr Cordelia fort. »Nicht einmal umarmt haben sie mich. Die Hand haben sie mir gereicht, ganz kurz, wie einer Fremden. Ihrem einzigen Enkelkind. Weißt du, was mir von ihnen hauptsächlich im Gedächtnis geblieben ist? Großmutter trug irgendein altmodisches Parfum. Ihre Haut, ihre Kleidung war durchdrungen davon … Es roch süßlich, ein bisschen wie alter Puder. Ich habe es noch heute in der Nase … Ich fand es … unangenehm.« Unvermittelt stieß sie eine Art Lachen aus. »Aber dann lief doch nicht alles so, wie mein Vater es befohlen hatte. Sobald Großmutter herausbekam, dass mein Baby voraussichtlich nicht blütenweiß sein würde, dass ich mich mit einem Neger eingelassen hatte, warf sie mich raus. Einfach so. Was ihre Freunde und die Leute dazu sagen würden, war ihr immerwährender Albtraum. Das hatte Mutter von ihnen geerbt.«

    Anita stand auf und lief ein paar Schritte. Sie musste sich einfach bewegen, konnte nicht stillsitzen und das verdauen, was ihr Cordelia da wieder servierte. Ihr Kopf schien von einer pulsierenden Masse ausgefüllt zu sein, die immer weiterwuchs und ihr den Schädel zu sprengen drohte. Sie presste beide Hände an die Schläfen. Sollte sie den ersten Migräneanfall ihres Lebens bekommen?
    Ihre Großmutter sollte so etwas getan haben? Ihre freundliche, elegante Großmutter, die zwar immer etwas distanziert wirkte, aber sehr liebevoll mit ihr umgegangen war, die sie stolz ihren Freundinnen vorgezeigt hatte? Die sie geliebt hatte? »Das kann ich mir von Großmutter nicht vorstellen.«
    Cordelia lachte. Ein hartes, kurzes Lachen. »Glaub mir, Schwester, sie hat es getan. Und Großvater hat nichts dagegen unternommen. Ich stand buchstäblich auf der Straße. Hochschwanger. Und nur die paar Geldscheine, die sie mir zum Schluss in die Hand gedrückt hatte, waren das Bollwerk zwischen mir und dem Platz bei den Obdachlosen unter der Brücke.«
    Â»O Gott.« Anita wurde schwindelig. War denn alles in ihrem bisherigen Leben eine Lüge gewesen? Die Nachmittage bei den Großeltern, die Liebe ihrer Mutter zu ihr, ihrer Tochter? Die Liebe ihres Vaters? Cordelia konnte doch unmöglich eine derart blühende Fantasie haben.
    Der Boden unter ihren Füßen schwankte. Sie fiel in den Sessel und packte mit beiden Händen die Lehnen, um Halt zu finden. Das durfte nicht wahr sein. Wie sollte sie mit der Tatsache weiterleben, dass ihre Eltern und Großeltern Cordelia so kalt und brutal behandelt hatten, dass sie widerliche, engstirnige Rassisten gewesen sein mussten? Ein anderes Wort fiel ihr nicht ein. Ihre Eltern, die immer von Afrika und seinen Menschen geschwärmt hatten? Verdammt, was war das für ein Sumpf? Die pulsierende Masse drückte von innen gegen ihre Augäpfel. Ehe sie es verhindern konnte, brach ein Stöhnen aus ihr heraus.

    Â»Ich habe rasende Kopfschmerzen. Hast du ein Aspirin für mich?«
    Cordelia stand schweigend auf und kehrte kurz darauf mit einer Packung Aspirin und einem Glas Wasser zurück. »Es sind Brausetabletten, die wirken schneller. Kriegst du auch eine Migräne?«
    Â»Das wäre dann das erste Mal in meinem Leben«, nuschelte Anita und ließ zwei der Tabletten ins Wasser gleiten, wo sie sich sprudelnd auflösten. Sie schwenkte das Glas, ließ das Wasser kreisen und schüttete es dann in einem Zug in sich hinein. Mit einem Taschentuch wischte sie sich den Mund ab. »Was hast du bloß gemacht? Wie hast du es nur geschafft, dass Maurice heute bei dir lebt?« Wie muss das gewesen sein, dachte sie, in einem fremden Land Fuß zu fassen, hochschwanger, praktisch kein Geld, keinen Menschen, den sie um Hilfe bitten konnte. »Ich glaube, ich hätte kurzen Prozess gemacht und wäre von der nächsten Brücke gesprungen.«
    Â»Und hättest dein Baby umgebracht? Das hättest du getan? Dann passt du ja prima in unsere Familie!«
    Anita spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss.. »Natürlich nicht … entschuldige«, stammelte sie. »Ich habe überhaupt nicht

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