Jenseits von Timbuktu
marschiert, wild entschlossen, ihren Jetlag zu retten, und hat dabei nicht gemerkt, dass es schon spät war und bald dunkel werden würde.
Kurz darauf hörte sie Jetlag kollern und stieà auf ein schwarzes Mädchen, das ein Baby auf dem Rücken trug. Dieses Mädchen hatte Jetlag an den Beinen gepackt und war auf dem Weg, ihn in ihr Versteck zu schleppen, wo sie den Gockel in den Kochtopf zu stecken wollte â¦Â«
»Schade, dass sie es nicht geschafft hat«, murmelte Nils. »Wie alt werden Hühner eigentlich?«
Jill grinste schief. »Wir hatten mal eines, das acht Jahre alt geworden ist. Bis Jetlag in den Hühnerhimmel kommt, dauert es also noch. Du willst doch nicht etwa nachhelfen?« Als Antwort bekam sie ein Grunzen. »Sieh dich bloà vor, unsere Tochter wird dich zur Schnecke machen. Aber lass mich weitererzählen. Kira hat dem Mädchen den Hahn entrissen, worauf es furchtbar zu weinen anfing und sagte, dass es so entsetzlichen Hunger hätte
und seine kleine Tochter auch. Kira sagt übrigens, dass das Mädchen nur ein bisschen älter gewesen sei als sie, vielleicht zwölf Jahre. Zwölf Jahre, und sie hat ein Kind! Kamali ist ihr Name, Lulu der des Babys. Ich nehme an, dass sie aus Simbabwe kommen, denn offenbar spricht sie einen Ndebele-Dialekt, sagt Kira. Sie hat ihn zumindest teilweise verstanden, er basiert ja schlieÃlich auf Zulu. Danach hat Kamali Kira in ihr Versteck mitgenommen, und da haben sie wohl so lange geredet, bis es auf einmal dunkel war.« Schweigend hielt sie ihm das leere Grappaglas hin, wartete, bis er es gefüllt hatte, und trank mit kleinen Schlucken. AnschlieÃend wischte sie sich den Mund mit einem Taschentuch ab.
»Und dann ist sie einfach dort geblieben? Morgen kaufe ich ihr ein Handy. Ich will, dass sie uns jederzeit anrufen kann. So eine Nacht will ich nie wieder erleben!«
Jill nickte. »Streichhölzer hatte Kamali nicht mehr, also konnten sie kein Feuer machen. Kira hat im Mondlicht ein paar Dornzweige herangezogen und eine Art Verhau gebaut, um wenigstens etwas Schutz gegen Raubtiere zu haben. Dann haben sie sich aneinandergekuschelt und geschlafen, Kira mit Jetlag im Arm, Kamali mit Lulu. Seitdem hat sie die beiden mit Kleidung und Essen versorgt. Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich mir klarmache, wie häufig sie inzwischen tatsächlich im Gelände gewesen sein muss, ohne dass wir es gemerkt haben.«
Nils und sie schwiegen. Jill stellte sich vor, was diese Kamali mit Lulu durchgemacht haben musste. Was sie wohl jetzt noch durchmachte.
»Wir müssen die kleine Kamali so schnell wie möglich finden. Sonst â¦Â« Jill machte eine eindeutige Geste.
»Warum hat sie so geweint?«, fragte Nils, aber Jill konnte ihm von den Augen ablesen, dass er schon ahnte, was geschehen war.
»Ja, Lulu, das Baby, ist gestorben.« Ihre Stimme war rau geworden. »Irgendwann eines Nachts, und Kamali hat mit dem toten
Baby im Arm den Rest der Nacht auf einem Baum verbracht, weil sie Angst hatte, dass die Hyänen kommen würden und â¦Â« Jill musste ein Schluchzen hinunterschlucken. »Als Anita Kira bei sich am Bungalow fand, hatten die beiden Mädchen das Baby kurz zuvor beerdigt ⦠Sie haben zu zweit einen groÃen Stein aufs Grab gewälzt. Damit die Hyänen es nicht fressen, hat Kira gesagt. O Gott, Nils, was sollen wir nur tun?« Sie brach in Tränen aus. »Wir müssen dieses Kind finden!«
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Abends saÃen sie nur zu dritt am Tisch. Anita, Dirk und Marina Muro. Die Stimmung war nicht gerade überschwänglich, um nicht zu sagen bedrückt, die Unterhaltung schleppend.
»Wie gehtâs denn Flavio? Hat er einen akuten Anfall von Bequemlichkeit und lässt sich betüteln, oder hat er ein wirkliches Wehwehchen?«, flachste Dirk grinsend, um etwas Leichtigkeit heraufzubeschwören.
»Flavio ist sterbenskrank, er spuckt sich die Seele aus dem Leib«, fuhr ihn Marina Muro streng an. »Er ist bereits so abgemagert, dass er glatt einen Besenstiel mimen könnte.«
Dirk hob beschämt beide Hände. »Das wusste ich nicht. Tut mir leid. Ehrlich.«
»Und wo ist Andy?«, fragte die Schauspielerin. »Hat den auch das afrikanische Virus erwischt, das Flavio umgehauen hat?«
»Im Krankenhaus«, brummte Dirk. »Aber ein afrikanisches Virus hat ihn nicht erwischt. Er hat im Suff versucht, ein Zebra von der StraÃe
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