Jenseits von Timbuktu
Papierfetzen flatterte auf den Tisch. Sie sammelte sie auf und wollte sie gerade wieder in den Umschlag stecken, als ihr plötzlich ein Papierstückchen ins Auge fiel, auf dem in schwarzen Buchstaben fettgedruckt »GEBUR« stand. Neugierig geworden, sortierte sie die Schnipsel mit dem Zeigefinger und fand schlieÃlich einen, der aus dem Wortteil »GEBURTSUR« machte. Geburtsurkunde? Wessen?
In fiebriger Hast fügte sie ein Puzzlestück ans andere, bis sie es lesen konnte. Das Wort hieà tatsächlich »Geburtsurkunde«, und darunter stand ein Name.
Anita sank auf den Stuhl zurück und starrte diesen Namen so gebannt an wie das Kaninchen die Schlange, und unter dem Hagel unbeantworteter Fragen geriet ihr Leben mit jeder Sekunde mehr aus den Fugen. Die Buchstaben tanzten vor ihren Augen Rock ânâ Roll.
Cordelia Mbali Carvalho, geboren im Juni 1952 in Mtubatuba, Zululand.
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Das Schicksal wollte es, dass sich wenige Tage später ein Verlag die Buchrechte an ihrer Timbuktu-Geschichte sicherte, und fast gleichzeitig wurden auch die Filmrechte verkauft. Der Agent, der sie anfänglich nur zögernd in seine Klientenliste aufgenommen hatte, hatte gute Arbeit geleistet.
Nicht lange danach flatterte ihr auch noch die Einladung der Filmproduktionsfirma ins Haus, im Januar ein paar Tage am Set
von Timbuktu in Südafrika zu verbringen. Ihr Agent beklagte sich bei ihr, dass sie nicht genügend Freude zeige. Sie konnte ihm nicht erklären, dass ihr Inneres wie hohl war und ihr die Fähigkeit, Freude zu empfinden oder auszudrücken, auf gewisse Weise abhandengekommen war.
2
T rotz des frühen Morgens tanzten Hitzeschlieren über dem Busch, die Sonne strahlte unbarmherzig aus dem brennend blauen Himmel und lieà jeden Tropfen Feuchtigkeit verdampfen. Jill Rogges Haut spannte sich, obwohl sie sich groÃzügig eingecremt hatte. Der Busch um sie herum knisterte, die Suhlen der Nashörner verkrusteten und trockneten ein, sonst ergiebige Wasserlöcher wurden zu Schlammkuhlen. Mensch und Tier lechzten nach Regen.
Sie lehnte sich weit aus dem Wagenfenster und suchte den Krokodilfluss, der sich sonst als breites, silbern glitzerndes Band durch die flache Senke unter ihr wand. Selbst mit ihrem erfahrenen Blick konnte sie ihn nur an der tropisch grünen Vegetation erkennen, die an seinem Ufer wuchs. Das Wasser war in der brutalen Trockenheit der vergangenen Wochen zu einem Rinnsal versickert.
Sie wendete und lenkte den Geländewagen vorsichtig über die SchotterstraÃe, die durch eine Senke zur frisch ausgebesserten Brücke über das Bett des Krokodilflusses führte. Die Oberfläche war hart wie Beton, an vielen Stellen aufgebrochen und von ausgewaschenen Rinnen und unangenehm tiefen Schlaglöchern durchzogen. Die Reifen rutschten auf dem von zerkleinertem Schotter bedeckten, abschüssigen Weg. Sie seufzte frustriert. Der nächste Regen würde nicht in den Boden eindringen können, sondern als Sturzbach hinunter zum Fluss schieÃen, Bäume und Geröll mit sich reiÃen und die Brücke erneut beschädigen. Ein Teil des Gewinns, den sie in der letzten Saison erwirtschaftet hatte, würde für Reparaturen draufgehen. Wie immer. Sie seufzte
noch einmal. Manchmal fantasierte sie von einem schönen, ereignislosen Leben in Europa ohne Naturkatastrophen.
Erfreulicherweise waren die Buchungen für die Lodge dieses Jahr ungewöhnlich gut. Das hatte sie wohl dem FuÃballfieber zu verdanken. Südafrika stand wegen der FuÃballweltmeisterschaft im Scheinwerferlicht. Wenn sie den überschwänglichen Berichten in den Zeitungen glauben konnte, gab es in der restlichen Welt kaum ein anderes Thema. Wirtschaftskrise, Afghanistanproblem, El Kaida und Irak-Krieg hin oder her.
Ob das nun so war oder nicht, ihrer Farm Inqaba , eine der schönsten und ältesten Farmen in Zululand und seit rund dreizehn Jahren eines der berühmtesten Wildreservate, kam das zugute. AuÃerdem erwarteten sie die Ankunft eines Filmteams aus Deutschland, wovor ihr allerdings grauste. Es war nicht das erste Mal, dass auf Inqaba gedreht wurde. Die Filmleute würden für die Zeit der Aufnahmen die Lodge praktisch komplett belegen  â nur wenige Zimmer waren an andere Gäste vermietet  â, was ihr auf der einen Seite ruhige Nächte bescheren, andererseits den normalen Tagesablauf mit Sicherheit völlig durcheinanderwirbeln
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