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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
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alt sein konnte. Die Kleine presste ihr Gesicht weinend in den Schoß der Größeren. Beide waren dunkelhäutig und trugen lockere, ausgeblichene Hängerkleidchen, die ihnen knapp bis zu den Knien gingen.
    Zögernd wanderte ihr Blick weiter. Die Hautfarbe der Kinder
verschmolz mit den Schatten, alles was sie erkennen konnte, waren Augen. Schreckgeweitet, die Iris wie schwarze Rosinen auf weißen Mandeln, starrten sie ihr entgegen. Keines der Kinder rührte sich oder sagte etwas. Nach und nach bemerkte sie weitere Einzelheiten. Auf dem grauen Betonboden standen Blechteller herum, gefüllt mit steifem Brei. Von keinem war gegessen worden.
    Dann nieste jemand, und Anita wurde klar, dass sich draußen im Hof noch mehr Kinder befinden mussten. Zögernd trat sie hinaus und schaute um die Hausecke. Mehrere Kinder, ein knappes Dutzend vielleicht, saßen dort auf dem Betonboden. Offenbar alles Mädchen, alle mehr oder weniger im selben Alter von zehn oder elf Jahren, nur drei schienen etwas älter zu sein. Alle trugen diese merkwürdigen Hängerkleidchen. Und alle zeigten deutliche Anzeichen von Todesangst. Noch als Anita damit kämpfte, zu verstehen, was hier vor sich ging, drang ein weiteres Geräusch an ihre Ohren.
    Ein tiefes, vibrierendes Knurren, das sich wie eine Stoßwelle in der Luft ausbreitete, ihren Körper und Kopf ausfüllte. Die Kinder stießen unterdrückte Angstschreie aus, und Anitas Herz setzte für eine Sekunde aus. Das hatte sie schon einmal gehört, das gleiche, drohende, grauenvolle Knurren. Vorgestern, vor ihrem Bungalow. Löwen!
    Und dann sah sie es am anderen Ende des Hofs. Eine große Öffnung in der Mauer, wie ein Fenster, die mit zentimeterdicken Metallstäben vergittert war und von der eine Art Käfiggang in den Busch führte. Wieder hörte sie das Knurren, konnte aber keine der Großkatzen sehen, weil der Gang teilweise von überhängenden Büschen verdeckt war. Die Käfigstangen glänzten, reflektierten die Sonne und warfen filigrane Schattenmuster auf die Umgebung. Das unangenehme Gefühl, dass sie beobachtet wurde, kroch ihr den Rücken hoch, kribbelte wie Ameisen über ihre Haut. In dem verwirrenden Lichtspiel Genaueres zu erkennen
war schwierig. Waren das zwei gelbe Käfer hinter den überhängenden Zweigen? Blinzelnd schaute sie dorthin. Die gelben Käfer schillerten, in der Mitte ihres mandelförmigen Rückens saß ein schwarzer Punkt.
    Ein Adrenalinstoß schoss ihr durch die Adern, alle Geräusche entfernten sich. Nur das Knurren blieb, das das Universum zu erfüllen schien. Ihre Kehle war schlagartig wie zugeschnürt, als sie erkannte, dass es bernsteinfarbene Augen waren. Katzenaugen, die sie unverwandt durch die Käfigstäbe fixierten. Gleichzeitig verwandelte sich der gelbliche Schatten hinter den Zweigen in die Umrisse einer Löwin. Den Hals vorgestreckt, die Ohren auf sie gerichtet, starrte die riesige Raubkatze sie unverwandt an, verfolgte jede ihrer Bewegungen. Das Knurren drang tief aus ihrer mächtigen Brust.
    Gleichzeitig tauchte hinter dem Tier ein männlicher Löwe mit einer prächtigen schwarzen Mähne auf. Er drängte das Weibchen beiseite. Sein Körper spannte sich, als er Anitas ansichtig wurde, die gelben Augen funkelten. Die Pranken steif nach vorn geschoben, dehnte er sich genussvoll und wölbte den Rücken zu einem Katzenbuckel. Und dann, ohne irgendwelche Vorwarnung, warf er seinen mächtigen Kopf zurück, sprang mit seinem Gewicht von fast drei Zentnern gegen die Vergitterung, dass die Mauer erzitterte, und brüllte.
    Und brüllte noch einmal. Dieses urweltliche Röhren schien sich tief in der Erde fortzusetzen und das ganze Universum zu füllen.
    Anita standen die Haare zu Berge. Innerhalb von Sekunden war sie schweißnass. Wieder und wieder brüllte die riesige Raubkatze. Das Geräusch lief in Schockwellen durch Anita hindurch. Sie schrie. Auch als der Löwe endlich genug hatte und sich grollend hinlegte, schrie sie weiter.
    Â»Na, und wen haben wir denn da?« Eine vor Hohn triefende, männliche Stimme. Dann deutlich ärgerlicher: »Ach, nun hören
Sie doch auf, so einen Krach zu machen, Sie dummes Weib. Der kann sich doch nicht durch die Gitter quetschen!« Der Mann packte sie an der Schulter und schüttelte sie, dass ihr Kopf hin und her flog.
    Der Schrei blieb ihr in der Kehle stecken. Sie starrte

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