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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
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dauerte einige Zeit. Steine bohrten sich in ihren Rücken, ihr Top verhakte sich am Draht, der ein kleines Loch hineinriss und ihr Arme und Beine zerkratzte, aber dann endlich war sie hindurch. Erleichtert sprang sie auf, bürstete die rote Erde, so gut es ging, von ihrer Kleidung ab, setzte den Hut wieder auf und schulterte ihre Tasche. Vorsichtig bahnte sie sich dann den Weg durch dichten Busch und hohes, hartes Gras in der Hoffnung, bald auf den Pfad zu stoßen, auf dem sie gestern – erst gestern? – Cordelias Garten erkundet hatte.
    Sie fand den Weg tatsächlich und blieb stehen, um einen Schluck Wasser zu trinken und die Kratzer an ihren Beinen zu untersuchen. Das Wasser war erwartungsgemäß lauwarm und
schmeckte scheußlich. Die Kratzer waren oberflächlich, aber trotzdem würde sie Cordelia um Betaisodona bitten, das Allheilmittel in einem solchen Fall. Top und Shorts klebten ihr auf der Haut, unter dem Sonnenhut hing ihr Haar nass vor Schweiß herunter. Sie setzte ihn ab, goss Wasser in ihre hohle Hand und klatschte es sich ins Gesicht. Das brachte zwar etwas Erleichterung, aber nicht viel. Bei Cordelia würde sie erst einmal duschen, nahm sie sich vor. Sie verstaute die Flasche in ihrer Tasche und wandte sich nach links zum Haus hin.
    Es geschah nur wenige Sekunden später. Es war kein Schrei wie am vorherigen Tag, eigentlich nur ein ängstliches Quietschen, klarer und deutlicher diesmal, und es kam von rechts. Sie erstarrte. Ein kurzes Wimmern zitterte in der Luft, danach herrschte wieder Stille. Ihr Blick flog nach rechts.
    Als Erstes schoss ihr durch den Kopf, dass sie sich gestern nicht geirrt hatte. Es war ein Schrei gewesen. Sie hatte sich nicht verhört. Auf merkwürdige Art erleichtert, schlich sie in die Richtung des Geräuschs. Als sie auf einen Stein trat, knickte sie um und rutschte ab. Als dabei ein größerer Ast zerbrach, erschien ihr das Knacken ohrenbetäubend. Wieder erstarrte sie. Und wieder umfing sie nichts als Stille.
    Entschlossen, endlich herauszufinden, was oder wer da geschrien hatte – es war ja nicht von der Hand zu weisen, dass es doch beispielsweise eine junge Ziege gewesen sein könnte, aber eben auch ein Kind –, tastete sie sich immer näher an das merkwürdige Gebäude. Nachdem sie etwa zweihundert Meter zurückgelegt hatte, stieß sie auf eine weiß getünchte Steinmauer mit Rollen von rasiermesserscharfem Natodraht obendrauf. Erfreulicherweise gab es hier eine Eingangstür aus massiven Holzbohlen.
    Sie klopfte vorsichtig. Tiefe Stille war die Antwort. Sie klopfte noch einmal, härter und länger. Jetzt war ihr, als hörte sie etwas. Ein Scharren, wie ein heimliches Schleichen. Energisch hämmerte
sie mit der Faust gegen die Bohlen, und zu ihrer Überraschung gab die Tür nach. Mit der flachen Hand drückte sie dagegen, und die schwere Tür schwang auf gut geölten Scharnieren nach innen. Anita presste sich an die Wand und spähte um die Ecke. Vor ihr lag im grellen Licht eine Art betonierter Hof, leer offenbar, jedenfalls konnte sie niemanden sehen. Rechts endete die Mauer an dem Gebäude, das sie von der Straße her entdeckt hatte. Vor Anspannung hielt sie die Luft an und schob sich an der Mauer entlang bis zum Haus. Und dann stand sie abermals vor einer Holztür, die, wie sie sofort feststellte, nicht vollständig geschlossen war. Behutsam drückte sie dagegen, bis sich der Spalt weit genug vergrößerte, um ihr einen Blick hinein zu ermöglichen.
    Das Erste, was sie sah, auf dem Boden direkt vor ihr, war ein Bein. Ein kleines braunes Kinderbein. Überrascht stieß sie die Tür völlig auf. Noch geblendet von der gleißenden Helligkeit draußen, trübten tanzende Flecken ihren Blick, und sie konnte im ersten Moment gar nichts erkennen, auch weil im Inneren des Raums praktisch Dunkelheit herrschte. Sie hörte Atmen, unterdrücktes Weinen, Scharren. Angst verschloss ihr die Kehle, aber sie musste warten, bis sich die Flecken vor ihren Augen verzogen hatten.
    Nach einer Ewigkeit, wie es ihr erschien, hatte sie sich endlich an die Finsternis gewöhnt. Aus der Schwärze traten Konturen hervor, und jetzt erkannte sie, dass das Bein einem Kind gehörte, offensichtlich einem Mädchen. Es lag zusammengekauert in den Armen eines anderen Kindes, auch ein Mädchen, das etwas älter zu sein schien, aber sicher nicht mehr als elf Jahre

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