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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
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Grelles Licht schnitt eine Schneise ins stickige Dunkel. Geblendet kniff Anita die Lider zusammen und hob dabei abwehrend die Arme.
    Â»Aufgewacht, schöne Frau«, kommandierte Len Pienaar. »Zungu, Jacob, helft den Damen heraus!«
    Anita nahm Kira in den Arm und kroch mit ihr zur Tür. Sie schlug die nach ihr greifenden Hände der beiden Zulus weg, ließ Kira vorsichtig vom Lieferwagen hinuntergleiten. Danach sprang sie auch hinaus, kam aber auf einem Stein auf und knickte um. Als sie sich gefangen hatte und sicher stand, brannte die betonharte Erdoberfläche durch die dünnen Sohlen ihrer Riemchensandalen.
    Hinter ihr hörte sie leises Wimmern. Sie wandte sich um und spähte ins Innere des Wagens. Die Kinder hatten sich verängstigt in die hinterste Ecke der Ladefläche zusammengedrückt. Nur das Weiße ihrer weit aufgerissenen Augen und ihre Zähne leuchteten
gespenstisch in der Dunkelheit. Sie streckte ihnen ihre Hand entgegen und lockte sie mit sanften Tönen, aber keine der Kleinen rührte sich, bis Kira in schnellem, melodiösem Zulu etwas zu ihnen sagte. Zögernd wagten sich zwei Mädchen hervor, die zwar kaum größer als Kira waren, aber älter, vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahre alt. Genau konnte Anita das nicht einschätzen, außer dass ihre Figur die ersten weiblichen Rundungen ahnen ließ.
    Die anderen drängten sich immer noch angstvoll in die hinterste Ecke und rührten sich nicht. Mit einem Knurren sprang Zungu auf die Ladefläche, trieb die Mädchen gewaltsam zur Tür und stieß sie hinaus, wo Jacob sie auffing. Manche allerdings fielen auf den Beton und weinten bitterlich. Schließlich standen alle in einem engen Knäuel draußen vor dem Fahrzeug, und Anita konnte sie sich erst jetzt richtig ansehen.
    Es war ein jämmerlicher Haufen, und es drehte ihr das Herz um. Ihre Kleidchen waren verdreckt, meist zerlöchert, und viele hatten blaue Flecken oder Verletzungen, manche frisch vom Sturz aus dem Lieferwagen, manche älter und verkrustet. Ihre Haltung war voller Angst, und bis auf wenige Ausnahmen waren die Mädchen durchweg viel zu dünn, sodass ihre herrlichen schwarzen Augen in den schmalen Gesichtern riesig groß wirkten.
    Einmal schon hatte sie solche Augen gesehen – und diese Angst. Im Labor, bei den Versuchsaffen. Der Gedanke genügte, und ihr wurde schwindelig. Ihr drohte schwarz vor Augen zu werden, aber es gelang ihr, sich zusammenzureißen und ihre eigene Angst in Empörung zu bündeln.
    Â»Wo sind wir?«, fuhr sie Pienaar an, der abseits stand und eine Nummer in sein Mobiltelefon tippte. Er ignorierte sie und begann in den Hörer zu sprechen. »He, ich habe gefragt, wo wir sind!«, rief sie. Äußerlich demonstrierte sie Unerschrockenheit, innerlich allerdings fühlte sie das Gegenteil.
    Statt Pienaar antwortete Jacob. »Woanders.« Er grinste und
lachte das tiefe, glucksende Lachen der Afrikaner, das sie sonst so liebte, jetzt aber nur als abstoßend empfand.
    Sie holte tief Luft, wollte erst nichts antworten, dann aber ging das Temperament mit ihr durch, und sie teilte ihm – allerdings auf Deutsch – mit was sie von ihm halte und welches Schicksal sie ihm an den Hals wünsche. Ausführlich und sehr deutlich. Das erleichterte sie einigermaßen, aber Jacob machte es sichtlich zornig.
    Â»Deine Sprache ist nur für Paviane!«, schrie er sie auf Englisch an. »Rede mit mir in einer Sprache, die Menschen verstehen. Zulu ist für Menschen! Deine Sprache ist für Affen!«
    Kira zupfte sie an ihren Shorts und zog dann ihren Kopf herunter. »Sag zu ihm: suka, Impisi embi«, flüsterte sie ihr ins Ohr.
    Ohne nachzudenken, wiederholte Anita diese Worte laut, hatte allerdings keine Vorstellung, was das heißen könnte. Aber die Wirkung auf Jacob war sehr zufriedenstellend. Sein Gesichtsausdruck wechselte zwischen Wut, Überraschung und Misstrauen. Er schien sich nicht mehr sicher zu sein, ob Anita Zulu sprechen konnte oder nicht und kämpfte sichtlich mit sich, wandte sich dann aber, vor sich hin brabbelnd, von ihr ab.
    Â»Was habe ich gesagt?«, flüsterte Anita Kira zu.
    Die Kleine kicherte vergnügt. »Hau ab, du hässliche Hyäne!«
    Unbedacht prustete Anita los, schlug sich aber gleich mit der Hand auf den Mund. Lachen war jetzt wirklich ein völlig unpassendes Geräusch. Schnell ließ sie ihre Augen

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