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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
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schauten die beiden Frauen bei Flavio hinein, der im Wohnzimmer der Rogges auf der breiten Couch lag und erschreckend krank aussah. Marina setzte sich auf die Sofakante, goss Wasser in ein Glas, drückte eine der Tabletten aus der Blisterpackung und hielt ihm beides hin. Er beäugte die kleine weiße Pille misstrauisch.
    Â»Geh! Das ist Medizin, kein Gift«, beschied ihm Marina. »Auch kein Rauschgift, nun schluck sie schon! Und die Kohletabletten gleich hinterher. Und bevor du meckerst, mit denen musst du dann nicht so oft aufs Klo rennen.«
    Jill stand schon in der Wohnzimmertür. »Ich rede mit Kamali, vielleicht schaust du nachher auch noch mal bei ihr herein? Sie liegt neben den Kinderzimmern im anderen Gästezimmer.« Marina hob zustimmend die Hand, und Jill drückte leise die Klinke zu Kamalis Zimmer herunter.
    Das kleine Mädchen saß im Schneidersitz auf dem Bett, das Plüschtier unter den Arm geklemmt. An einem Daumennagel nagend, schaute sie Jill aus riesigen Augen ernst an.

    Â»Darf ich mich zu dir setzen?«, fragte Jill auf Ndebele und zeigte auf die Bettkante.
    Kamali nickte, rückte ein Stück und schwieg.
    Â»Hast du gut geschlafen?«
    Vorsichtiges Nicken.
    Â»Hat dir dein Frühstück geschmeckt?«
    Heftiges Nicken.
    Jill holte tief Luft. »Kamali, ich möchte dir ein paar Fragen stellen. Wenn du eine nicht beantworten willst, sag es mir, in Ordnung?« Erfreut registrierte sie, dass das Mädchen sofort zustimmte. Sie stellte ihre erste Frage, die, die ihr am meisten auf der Zunge brannte. »Du hast mir erzählt, dass du aus Hwali kommst, wie kommt es dann, dass du im Busch von meiner Farm warst?« Bei der Frage legte sie Kamali sanft die Hand auf den Arm und streichelte sie.
    Für Sekunden glühte nackte Panik in den Augen des Mädchens auf, unruhig flatterten ihre Hände übers Laken. Nach kurzem Zögern schüttelte sie heftig den Kopf.
    Â»Keine Angst, ich bin überhaupt nicht böse. Ich möchte es nur wissen. Bist du irgendwo über den Zaun gestiegen?«
    Keine Reaktion, außer dass die kleinen Hände die Zipfel des Lakens verknüllten.
    Jill probierte es auf andere Weise. »Wo warst du vorher? Bei deinen Eltern?«
    Die dunklen Augen füllten sich mit Tränen, und Jill sah hilflos zu, wie sie allmählich überliefen und die Tropfen über die zarte Wange liefen. Kamali wischte sie nicht weg. Jill war klar, dass sie so nicht weiterkam, und die Zeit lief ihr weg. Verzeih mir, Kamali, dachte sie, aber ich muss es um Kiras Willen fragen.
    Â»Kira hat mir gesagt, dass du ein Baby mit Namen Lulu gehabt hast. Stimmt das? Und dass es gestorben ist?«
    Zu Jills Entsetzen spritzten Kamali jetzt die Tränen aus den Augen, als wäre ein Hahn aufgedreht worden. Am liebsten hätte
sie sich die Zunge abgebissen. Sie zog das Mädchen sanft an sich, streichelte ihm über den zuckenden Rücken, murmelte Tröstendes und wusste doch, dass sie Kamali nicht trösten konnte. Niemand würde das können.
    Â»Ist schon gut, Kleines, du brauchst nicht zu reden. Du kannst so lange hierbleiben, wie du willst. Ich muss jetzt los, aber ich komme heute Nachmittag wieder. In der Zwischenzeit wird meine Freundin bei dir und meinem kleinen Sohn Luca bleiben. Sie kommt von weither, von Deutschland … Weißt du, wo das liegt?« Kamali schüttelte heftig den Kopf, und Jill fuhr fort. »Sie ist ein Filmstar, ein richtiger, echter Filmstar, und sicher wird sie euch erzählen, wie es ist, einen Film zu drehen. Vielleicht kann Luca das für dich übersetzen.« Auch Luca sprach bereits fließend Zulu, und das war Ndebele ähnlich genug, dass Kamali einiges verstehen würde. Dankbar sah sie das kurze Aufleuchten in den traurigen Augen. »Ich werde sie jetzt holen.«
    Sie stand auf und ging zur Tür, um Marina hereinzubitten, damit sie sich mit Kamali vertraut machen konnte.
    Â»Pienaar.«
    Das Wort explodierte förmlich in der morgendlichen Stille. Jill fuhr herum. »Was?«, krächzte sie. »Was hast du gesagt?« Ihre Kehle war papiertrocken geworden.
    Â»Pienaar«, wisperte Kamali. »Lulu.«
    Jill versuchte, den Gedankenwirbel in ihrem Kopf irgendwie in den Griff zu bekommen. »Pienaar hat Lulu getötet?«
    Trauriges Kopfschütteln und danach Schweigen. Kamali saß da, den Kopf gesenkt, die Arme fest um den Leib geschlungen, als wollte sie sich

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